Donnerstag, 1. November 2007


Auf den letzten Metern

hat der Text mit dem Titel Bapu das Rennen gemacht, mit 4 Stimmen wurde er zum Gewinner des Oktoberwettbewerbes gekürt.

Wer ist diesmal der Favorit?

 
23.08% (3 Stimmen)
Füchsin im Spiegel

 
15.38% (2 Stimmen)
Fucked up.

 
15.38% (2 Stimmen)
DEMUT & KOINSEQUENZ

0% (0 Stimmen)
Füher

 
7.69% (1 Stimme)
Klack.

 
30.77% (4 Stimmen)
Bapu

 
7.69% (1 Stimme)
Blut

Insgesamt: 100% (13 Stimmen)

Angelegt von toxea am 2007.10.28, 23:05.
Diese Abstimmung wurde am 2007.11.27, 22:35 beendet.


Herzlichen Glückwunsch!!! Wir bitten um "Demaskierung" und um einen neuen Satzanfang für den Novemberwettbewerb.

Die kleine Anmerkung sei mir erlaubt: Ich habe mich gefreut, dass so viele interessante Texte eingereicht wurden. Es wäre schön, wenn im November die Teilnahme ähnlich rege bliebe.

Vielen Dank und auf zur neuen Runde!

Nachtrag: Ich muss mich entschuldigen, da ich übersehen habe, dass die Mehrheit sich für ein Stechen entschieden hatte. Sollen wir das Stechen (basierend auf den Ergebnissen von Gestern) noch mal eröffnen oder könnt Ihr die Entscheidung der letzten Minuten akzeptieren???

Oktober 2007  ... link








Sonntag, 28. Oktober 2007


Sieben auf einen Streich

Sieben recht unterschiedliche und interessante Beiträge haben diesmal den Weg in den Oktoberwettbewerb gefunden und es ist jetzt an den Lesern, den jeweiligen Favoriten zu wählen.

Unten findet Ihr die Liste zur Abstimmung. Bitte loggt Euch nicht mit dem allgemeinen Passwort ein, sondern mit Eurem eigenen Usernamen, da sonst die Abstimmung des Vorgängers überschrieben würde. Das Registrieren ist einfach und dauert nur ein paar Sekunden.

Und nun sind wir gespannt, wer diesmal das Rennen macht.

Bis zum 31. Oktober 2007, etwa 22:00 Uhr kann abgestimmt werden.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Wer ist diesmal der Favorit?

 
23.08% (3 Stimmen)
Füchsin im Spiegel

 
15.38% (2 Stimmen)
Fucked up.

 
15.38% (2 Stimmen)
DEMUT & KOINSEQUENZ

0% (0 Stimmen)
Füher

 
7.69% (1 Stimme)
Klack.

 
30.77% (4 Stimmen)
Bapu

 
7.69% (1 Stimme)
Blut

Insgesamt: 100% (13 Stimmen)

Angelegt von toxea am 2007.10.28, 23:05.
Diese Abstimmung wurde am 2007.11.27, 22:35 beendet.

Oktober 2007  ... link










Blut

Eigentlich begann alles schon viel früher, aber damals fiel es niemandem auf. Weder mir, noch meinen Freunden und schon gar nicht den hochheiligen Herren der katholischen Kirche. Ich hielt es für Kratzer und Aufschürfungen und ärgerte mich über meine offensichtliche Ungeschicktheit. Das Blut trocknete schnell und ließ sich mit einer schwachen Alkohollösung auch einfach abwischen. Anfangs.

Einige Wochen später saß ich bei einem Arzt. An beiden Händen hatten sich mittlerweile rötgeränderte Löcher gebildet, aufgerissene Wunden, aus denen stetig ein Rinnsal aus Blut tropfte. Ich war mehrmals am Tag damit beschäftigt, einen neuen Verband anzulegen. Die Nachbarn machten einen großen Bogen um mich, nachdem man mich gesehen hatte, wie ich die blutdurchtränkten Binden in der Tonne entsorgt hatte. Ich wartete täglich auf einen Besuch der Herren in grün, wollte mir auch schon eine plausible Erklärung für meine seltsame Form des Hausmülls zurecht legen, aber mir fiel keine ein. Genauso wenig wie dem Arzt.
Er untersuchte mich von oben bis unten, säuberte die Wunden so gut es ging, aber das nachfließende Blut überraschte sogar ihn. Er nahm Blut- und Gewebeproben, aber die Werte waren völlig normal. Mir ging es gut, außer den ständig blutenden Löchern in meinen Händen war ich kerngesund. Man verwies mich an einen anderen Arzt, einen sehr fähigen Mann, wie man mir versicherte und ich könne auch gleich zu ihm gehen, das wäre terminlich kein Problem. Mit einer Tüte voll Verbandsmaterial und einer Adresse auf einem Notizzettel verließ ich die Praxis.

Der andere Arzt war Psychologe. Mir war nicht klar, wie mir das bei einem offensichtlich physischen Problem helfen sollte, aber einen Versuch war es wert. Es blieb bei dem Versuch. Nach endlosen Gesprächen über meine über alle Maßen unspektakuläre Kindheit, den typischen Irrungen der Jugend und einem wenig Aufsehen erregenden Erwachsenenleben war keine Besserung in Sicht. Ich glaube selbst der Doc war froh, als ich ihm gestand, dass ich auf eine Weiterführung der "Therapie" keinen Wert lege. Mein Leben war ihm wohl zu langweilig.

Etwa zur selben Zeit bekam die Presse Wind von der Geschichte. Plötzlich war ich belagert von Vertretern der Yellow Press, die keinen Hehl daraus machten, dass sie eine Geschichte schreiben würde - mit oder ohne meine Mithilfe. In diesen Artikel fiel auch zum ersten Mal der Begriff "Nachfolger Christi", was mich zur Zielscheibe diverser Religionsfanatiker jeglicher Couleur machte. Während die Erzkatholiken mich als Betrüger beschimpften und mir ein Ende in der Hölle voraussagten, sahen mich andere als neuen Heilsbringer, der ihre erbärmlichen Leben endlich in Ordnung bringen würde. Ein paar Religionsgegner waren der Meinung, ich hätte nur einen guten Trick auf Lager und das alles wäre ein Protest gegen die Kirche. Ich war ihr Held. Dabei wollte ich nur meine Ruhe und Hände ohne blutende Löcher.

Mittlerweile hat sich die Meute satt gelesen an Berichten über den "Nachfolger Christi" mit den blutenden Händen. Es gibt nichts spannendes zu berichten und nach Hunderten von Artikeln, die immer wieder das Gleiche berichteten und keine Neuigkeiten mehr zu bieten hatten, erlosch langsam das Interesse. Das Telefon klingelt nur noch selten und auf der Straße werde ich nicht mehr angesprochen. Man hat sich an meine dick verpackten Hände gewöhnt. Die Religionsfanatiker haben sich so schnell verzogen, wie sie kamen. Es ist wieder Ruhe in mein Leben eingekehrt. An die immer verbundenen Hände werde ich mich gewöhnen, es bleibt mir auch nichts anderes übrig. Dass sich nun auch blutende Löcher an meinen Füßen gebildet haben, macht mir allerdings etwas Sorgen, aber noch schlimmer sind die blutenden Stellen an der Stirn. Kleine Löcher, als hätte man die Haut mit Dornen perforiert. Ich befürchte, ich muss meinen Vorrat an Verbandsmaterial aufstocken.

Oktober 2007  ... link








Donnerstag, 25. Oktober 2007


Bapu

Eigentlich begann alles schon viel früher.
Vor einem Dreivierteljahrhundert wäre Nirad Singh, Bapu - Väterchen - wie er vom Pflegepersonal der geriatrischen Station liebevoll genannt wurde, vielleicht an der Seite Mahatma Gandhis marschiert um Indien von der unterdrückenden Kolonialmacht zu befreien, hätte er sich nicht, zu jener Zeit ein pharisäischer Halbstarker mit ausgeprägtem Ehrgeiz und nicht minder manifestierten beruflichen Ambitionen, vom Pfad jenes asketischen Satyagrahi abgewandt um in Boston juristisch zu praktizieren.

"Ich war ein Narr", sagte der Greis eines dunklen Novemberabends, nachdem ich die in deprmierend sterilem weiß gehaltenen Panel-Tracks zur Seite geschoben und damit den Fensterblick des bettlägerigen Alten auf einen ganz anderen Vorhang gelenkt hatte: ein Rollo aus Schneeflocken, das in einem endlosen Band langsam vom Himmel herabsank, ein Anblick der vielleicht auch mich dazu bewegt hätte, mein Leben, und die Ziele nach denen ich es ausgerichtet hatte, zu überdenken. "Sagen sie das nicht, Mister Singh - Bapu", verbesserte ich mich, "wir alle machen..."
"Doch, doch", unterbrach Bapu die sich anbahnende Plattitüde mit einem Anflug von Determinismus, einer Zurschaustellung von Willensstärke, die seinerzeit in anderer Gestalt selbst das Empire eingeschüchtert hatte, "ich war ein Narr. Ich habe alles falsch gemacht und es erst bemerkt, als es zu spät zur Umkehr war. Ich habe mich selbst verraten."
Ich wagte nicht, ihm zu widersprechen - nicht, dass ich dazu in der Lage gewesen wäre, meine üblichen Plattitüden zeigten bei Bapu anscheinend keine Wirkung - sondern heuchelte das gewöhnliche Interesse einer Pflegerin, die unterdessen, die üblichen Handgriffe pflegerischer Tätigkeit vollführend, ständig von einer Ecke des Krankenzimmers in die andere wechselte und sich dabei die Selbstvorwürfe der Sterbenden anhören musste: "Aha?"
Er holte tief Luft. Ich war noch nicht lange in diesem Beruf, doch ich wusste, was nun folgen würde: Ein Klagelied über die Geister, die jeden von uns ein Leben lang verfolgen; unsere Irrtümer und Enttäuschungen. Auch Bapu machte keine Ausnahme. Wie immer hörte ich nur mit halbem Ohr zu, gelegentlich brachte ich einen einsilbigen Kommentar ein um den Anschein von Interesse aufrecht zu erhalten, während meine Gedanken längst am Ende der Spätschicht angelangt waren und auf jungfräulich schneebedeckten Wegen meiner Badewanne entgegenschritten.
"Kennen sie Gandhi?" Bapus plötzliche Frage riss mich aus meinem imaginärem Schaumbad. "Mahatma Gandhi?", antwortete ich, noch etwas perplex, "Passiver Widerstand?" Bapus Antwort sollte mir einen Augenblick Zeit gewähren, meine Gedanken ins hier und jetzt zurückzurufen.
"Kein passiver Widerstand", berichtigte er mich ohne näher darauf einzugehen, "Satyagraha, uneingeschränkte Nächstenliebe." Die Art, in der er dieses Wort aussprach, schien es zu etwas noch Bedeutenderem zu machen, als das alte, so leicht gepredigte, doch so schwer angewandte, Gebot Jesu Christi.
Bapu seufzte tief und plötzlich bereute ich, ihm nicht zugehört zu haben, wenn auch eher aus Mitleid für einen bedrückten Todkranken als aus unversehens entflammtem Interesse an Gandhis Widerstandskonzept. Er schien niedergeschlagen und, im Gegensatz zu meiner üblichen Haltung, verspürte ich das Verlangen, ihm seine unnötig selbstaufgebürdete Last zu erleichtern. "Erzählen Sie mir etwas über sich, Bapu", bat ich ihn, meine Aufmerksamkeit immer noch auf meine Pflegeroutine gerichtet, "Sie stammen aus Indien, nicht?"
Bapus klagender Blick wanderte an die Decke. Er atmete ruhig und schien einen Moment in sich zu gehen. Dann holte er wiedereinmal tief Luft und begann mit einer jener Fragen, deren Antwort man nur selbst kennt und immer erst preisgibt, nachdem man den kurzen Moment der Überlegenheit genossen hat, den einem die Sprachlosigkeit seiner Zuhörer einbringt: "Wissen Sie, warum ich Indien damals verließ?" Er bemerkte mein leichtes Kopfschütteln nicht, denn längst starrte er wieder geistesabwesend aus dem Fenster, auf einen fernen Punkt in der Dunkelheit jenseits des Schneeflockenvorhangs.
Er begann, mir von seiner Jugend in Punjab zu erzählen. Dort wuchs er als einziger Sohn wohlhabender Sikh auf, später immatrikulierte er an der Punjab Universität und studierte vier Semester lang Rechtswissenschaften, ehe er durch die Abspaltung Pakistans und damit verbundene Unruhen gezwungen war, das Land zu verlassen und sein Studium in Europa zu beenden. Als diplomierter Jurist exmatrikulierte er bald darauf vom King's College in London, erhielt eine Anstellung in einer Kanzlei in Dover, durch die er, auf den verschlungenen Pfaden die das Leben für die Menschen bereithält, irgendwann nach Boston kam, wo er beschloss, sich niederzulassen und den amerikanischen Traum zu leben. Nun, am Ende dieses Traumes, wartete er hier im Massachusetts General Hospital auf den Tod, als dürrer Greis von zweiundneunzig Jahren, der sowohl seine Ehefrau als auch seine einzige Tochter überlebt hatte und dem nichts übrig blieb als die Erinnerung an jene Zeiten, in denen er sich als wichtiger Teil der Welt fühlte.
"Ich hätte dableiben sollen", beschloss er, "Gandhis Weg des Satyagrahi gehen, die Welt zu einem besseren Ort machen." Bapu kniff die Augen zusammen. "Doch damals fürchtete ich den Tod. Ich glaubte, das Leben zu wählen, doch ich wählte den längeren, den schleichenden Untergang. Ich lebte ein Leben ohne Sinn, nun sterbe ich einen Tod ohne Bedeutung." Er seufzte betrübt, und starrte wortlos in die Dunkelheit jenseits des Fensters.
Ich erledigte meine Aufgaben schweigend, nicht wissend, ob Bapu überhaupt noch Notiz von mir nahm. Bevor ich ging fragte ich ihn noch, ob er nun zu schlafen wünsche und wolle, dass ich das Licht ausschalte, doch er gab keine Antwort. Ich ließ die Finger vom Lichtschalter gleiten und versuchte, den Punkt jenseits des Schneevorhanges zu finden, von dem Bapu sich nicht abwenden konnte. Ich fand ihn nicht, so weit zurück in die Vergangenheit konnte ich nicht schauen.
"Was sehen sie, Bapu?", fragte ich ihn also, Anteilnahme spielend um meine Neugierde zu befriedigen und ihm endlich eine Reaktion zu entlocken.
Bapu wandte nur seinen Blick auf die Bettdecke und schüttelte den Kopf. "Dinge...", sagte er leise.
Enttäuscht wollte ich den Raum verlassen. Dann, ich stand noch im Türrahmen, sprach er es aus: "Ein Bild von Mahatma, es war die erste Fotografie an die ich mich erinnern kann. Sie hing im Haus meines Onkels, über der Tür." Sein Ton schien auf einmal voll von Begeisterung, trotzdem ließ ich mich nicht davon anstecken. "Onkel, fragte ich ihn, wer ist das? Er sieht aus wie ein unbedeutender Mann." Bapu versuchte zu lächeln, kniff dann aber die Augen zusammen als bräche er jeden Moment in Tränen aus und schüttelte den Kopf; plötzlich schien er mehr trübselig denn begeistert. "Ein unbedeutender, alter Mann."
Ein letztes Mal blickte er hinaus in die Dunkelheit. Ich nahm die Gelegenheit wahr und ging, jedoch nicht, ohne durch eine allgemeingültige Plattitüde die übliche Anteilnahme zu mimen: "Das wird schon wieder", sagte ich und verließ den Raum. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, hörte ich auf dem Flur sein leises Schluchzen, sporadisch unterbrochen durch gewimmerte Wortfetzen in einer Sprache, die ich nicht verstand. Für einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, zurückzugehen und ihn zu trösten, den dürren alten Mann in den Arm zu nehmen und seine Selbstvorwürfe durch ehrliche Anteilnahme zu zerstreuen; doch ich verwarf diese Überlegungen und entschied mich, lieber jenen Verpflichtungen nachzukommen, die zu erfüllen ich eingestellt wurde, statt jenen, die ich mir immer wieder selbst aufbürdete.

Als ich das Krankenhaus verließ hatte es längst aufgehört zu schneien. Ich versuchte, nicht an Bapu zu denken, wie er durch das Dunkel einem Punkt in der Vergangenheit nachweinte, in der Hoffnung dort jene Erlösung zu finden, die ihm in der schwarz-oder-weiß Bewertung seines Lebens verwehrt blieb.
Ich fragte mich, wann ihm wohl die Vergänglichkeit dieses Traumes aufgefallen wäre. An der Seite Gandhis, am Tag der indischen Unabhängigkeit? Oder beim Ausbruch des anschließenden Völkermordes? Würde er am Ende aller noch so erfüllten Tage als asketischer Freiheitskämpfer dem Leben nachtrauern, das er nicht gehabt hatte? Einem Leben mit Frau, Tochter und einer Kanzlei in Boston?
Ja, schloss ich, an einem Abend wie diesem, wenn Erinnerungen an die Vergangenheit als reiner weißer Schnee die graue Wirklichkeit verhüllen, wie Bapus Traum von sich als Satyagrahi. Wie bei allen Menschen, die auf ihr Leben nur noch als eine Kette von richtig-oder-falsch Münzwürfen zurückblicken, deren Ausgang sie selbst bestimmt zu haben glauben.

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Dienstag, 23. Oktober 2007


Klack.

Eigentlich begann alles schon viel früher. Nicht erst in diesem Augenblick. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Du hast gerade abgedrückt und die Kugel rast unaufhaltsam ihrem Ziel entgegen. Merkwürdig. Das metallische Klacken des Abzuges ist in deinem Kopf viel präsenter als der ohrenbetäubende Knall. Vor vielen Monaten fiel dein Entschluss es zu tun. Ein Ende zu machen. Klack. Ein Film läuft in deinem Kopf. Es ist kein guter Film. Es gibt keine stringente Handlung. Nicht mal special-effects. Selbst an eine Sex-Szene kannst du dich nicht erinnern. Nur an die ständigen Demütigungen. Klack. Irgendwie ein befreiendes Geräusch. Endlich. Nach dem langen Hin und Her. Der Entschluss war leicht gefallen. Das war nicht das Problem. Den richtigen Moment zu finden, war da schon wesentlich schwieriger. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Denn jetzt ist es vorbei. Klack. Du hast gerade abgedrückt und die Kugel rast unaufhaltbar ihrem Ziel entgegen. Es wird ein Ende geben. Unmittelbar. Und jäh. Genau so sollte es sein. Rache für die Erniedrigungen der letzten Jahre. Du kannst die Kugel nicht sehen. Sie ist schnell. Aber du spürst, wie sie auf ihr Ziel zuschießt. Sie wird treffen. Kann gar nicht anders. Denn jetzt ist es vorbei. Klack. Keine Explosion. Keine Gefühle. Klack. Du hast gerade abgedrückt und endlich etwas zu Ende gebracht.

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Früher

Eigentlich begann alles viel früher. Die Situation war vor ihm da, bevor er auf irgendetwas Einfluss nehmen konnte. Das war ein tröstlicher Gedanke, inmitten all der Striemen und blauen Flecke. Wenigstens war er nicht schuld, dass es so gekommen war. Schuld war nur Vater. Der aber war meist nicht da.

Hinter solchen Gedanken verbarrikadierte er sich, wenn diese Furie, die plötzlich im Wohnzimmer stand und Mutti genannt werden wollte, den Stiel des Staubwedels auf seinem Hintern tanzen ließ. Weil er wieder log.

Wie sollte er auch nicht? Selbst wenn er gewollt hätte - er konnte ja keinen Satz formulieren, der es ihr recht gemacht hätte. Mit sieben Jahren kann sich niemand in Unverbindlichkeiten flüchten. So fand sie immer wieder Anlass, ihm die Hosen herunter zu lassen. Deshalb lag sie jetzt da. Aber eigentlich begann alles viel früher.

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Sonntag, 21. Oktober 2007


DEMUT & KONSEQUENZ

"Eigentlich begann alles schon viel früher," sagte sie leise.
"Ja," antwortete ich.
"Ich hätte es wissen müssen," fuhr sie fort. "Der Anfang war gar kein Anfang, nicht wahr?"
Ich betrachtete ihr Gesicht, die blasse Haut, die schöne Stirn, die schmale Nase, ihre Lippen. In einem anderen Leben hätte ich sie geküsst.
"Ja, es gab keinen Anfang. Denn dafür, aber auch für später fehlte mir Demut."
"Demut?" Sie lächelte. "Was ist Demut?"
"Demut ist das Gegenteil von Anmaßung."
"Du warst anmaßend? Aber..." - und wieder lächelte sie - "davon habe ich nichts gemerkt."
"Das ist gleichgültig, ich merkte es - und ich spüre es noch heute, da mir in letzter Zeit mehr als früher die Worte fehlen."
"Wie? Du sprichst rätselhaft - doch ich gebe zu, dass sich das mag, ja, ich mochte es von Anfang an."
"Es gab keinen Anfang."
"Ich vergaß."
"Ein Anfang hätte bedeutet, dass du Angst bekommen hättest. Angst vor mir. Angst vor der Demut, dem Fremden, dem Unverwandten, möglicherweise Abwendenden. So aber war auf die Distanz, durch die Ferne, im Traum und Raum des Abstrakten, dem Gefäß für deine Phantasie - war in dieser Welt das Gegebene das Gewünschte und dir damit alles vertraut."
"Du meinst, ich liebte mich zu täuschen?"
"Ja, das war deine Liebe."
"Und deine?"
"Meine Liebe? Ich weiß es nicht. Vielleicht war es keine - so wie kein Anfang."
"Das glaube ich nicht. Du hast mich geliebt. Du liebst mich noch immer."
"Ich liebe zwar noch immer, aber wer bist du? Ich weiß es nicht, also wie kann ich dich lieben?"
"Du hast mich erkannt. Aber du wolltest mich trotzdem lieben."
"Auch dir fehlt Demut," flüsterte ich, lächelte und sah, dass sie zurück lächelte. In einem anderen Leben hätte ich sie geküsst.
"Ja," sagte sie und schaute dabei auf ihre Hände, "und wohl deshalb liebe ich dich nicht."
"Ich weiß. Und es tut mir weh. Aber es tut mir auch leid. Um uns beide. Wir hätten einen Weg gefunden."
Wir schwiegen. Sie spielte mit ihren schlanken Fingern in ihren Haaren und drehte daraus lange, schwarze Fäden.
Sie brach das Schweigen: "Ich lege mich lieber zu meinen Ängsten, als dass ich versuche, ihnen zu begegnen."
"Das habe ich auch gesehen. Aber vielleicht ist es für eine Begegnung noch zu früh."
"Ja, es wird zu früh sein. Sehen wir uns wieder?"
"Nein."
"Aber, bedenke doch bitte, wenn der Anfang fehlt, wie soll es dann zu einem Ende kommen?"
"Durch Konsequenz." Ich glaubte nicht, dass dieses kurze, leise Schnarren meine Stimme war.
"Konsequenz," wiederholte sie sichtlich irritiert. "Aus was?"
"Aus deinem Schweigen."
"Ich schwieg?"
"Auch Plappern ist Schweigen. Auch Spielen ist Schweigen. Es ist Schweigen, wenn es keinen Anfang gibt. Schon viel früher begann also das Schweigen, siehst du, das Schweigen war der Anfang."
Ich sah, dass ihre Augen feucht wurden. Dann sagte sie traurig: "Das stimmt nicht, denn ich habe verstanden und auch du hast verstanden. Und ich hoffte, verträumt, verspielt und neugierig. Und nicht nur ich: du auch."
In einer anderen Welt hätte ich mich jetzt neben sie gesetzt, ohne Freiheit, ohne Zwang, und sie in den Arm genommen. Und dies immer wieder. Und dies ohne Ende.
In dieser Welt stand ich auf, schaute sie noch einmal an, lächelte freundlich und drehte mich um.

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Freitag, 5. Oktober 2007


Fucked up.

Eigentlich begann alles schon viel früher. Die Abgründe in ihm wurden mir zum ersten mal vor einem Jahr bewusst. Doch das verbindet. Die Abgründe, sie schlummern auch in mir, und er weckt sie. Und hatte ich jemals Zweifel an seiner uneingeschränkten Loyalität, so sind sie nun, mit jener Nacht, fortgewischt wie die Kaffeeränder auf meinem Schreibtisch.

Es ist, als habe unsere gesamte Verbindung seither auf jenen Abend abgezielt, der nun schon Geschichte ist:

Zwei Flaschen Rotwein, einige Heinekens, Ramazottis, Long Island Iceteas und Jägermeister später sitzen wir im Taxi auf dem Weg zu diesem Club, dessen Name alles andere erahnen lässt. Wir grinsen uns verschwörerisch an, die Augen hinter seiner Brille sind so voller Schalk und Zuneigung, ich genieße die Nacht. Es ist lau, eigentlich zu warm für diese Jahreszeit. Aber es passt, wie alles stimmig ist an diesem Abend. Wir sind wie zwei freudig erregte Teenager, auf ihrem Weg zum nächsten Abenteuer. Ungeplant. Sich treiben lassen. Voller Drang, ungehemmt und offen für alles. Wir wissen, was wir wollen.

Drinnen ist es dampfig und siffig, eine alte Fabrik, die Bässe dröhnen aus den Boxen. Wir steigen eine Gittertreppe hinauf, vor uns zuckende Leiber, die sich vom Klang der Musik treiben lassen. Es ist das erste mal seit Jahren, dass ich mich wieder in diese Gefilde wage, aber ich fühle mich sicher, mit ihm an meiner Seite.

Ich hole uns Wodka-Bull und Bier, wir wandern umher, von Raum zu Raum, mit unruhigen Augen, immer auf der Suche. Wir tanzen, versinken in den Tönen, bleiben aber getrieben. Irgendwann ist er plötzlich weg. Ich bin gnadenlos besoffen und fühle die Panik, die mich schon damals öfters dazu bewogen hat, mich stundenlang auf dem Klo einzusperren, in mir hinaufkriechen. Ruhig, ruhig. Er lässt dich nicht fallen.

Wenige Minuten später steht er vor mir. Er hat es. Wir steigen die Treppe hinunter. Als wir unten angelangt sind, drücke ich ihn an die Wand. Es ist wie ein Zwang. Er macht mir dermassen an, wie er da so steht, mit dem, was ich will in seinen feuchten Händen. Ich küsse ihn, drücke ihm meine Nägel in den Hals. "Tu das nicht, warum tust du das?" stöhnt er. "Ich kann nicht anders." Wir erliegen für Minuten der reinen Geilheit, wie zwei Tiere. Die Erinnerung ist schwarz. Ein letztes Licht, ich spüle die Pille mit Wodka-Bull hinunter. Die Zeit steht still. Hört auf. Ist weg. Was ist Zeit?

Es hämmert gegen die Klotür. Aber es ist mir egal. Wieder Schwärze, nichts als Schwärze. Wie bin ich hier her gekommen? Schwärze. Vor der Tür ruft jemand meinen Namen. Wie lange sitze ich hier? Es müssen Tage sein. Er ruft meinen Namen. Nichts. Weg. Weit weg. Wo? Ich habe keine Gedanken. Er steht über mir. Wir sind eingeschlossen im Klo. Er ruft meinen Namen, wieder und wieder. Er schüttelt mich. Schwärze. Ich sitze auf dem Klo, eigentlich eher in der Kloschüssel. "Ruf einen Krankenwagen". Das Reden strengt so an. Alles strengt an. Das reine Sein strengt an. Ist das Sterben? "Ruf einen Krankenwagen." Ich versuche, jede Silbe zu betonen. Die Worte formen sich wie aufgeschwemmte Pilze in meinem Mund. "Wir müssen hier raus", schreit er, "hörst, du, wir müssen hier raus, wir bekommen sonst riesen Probleme!" Er ist ausser sich. Er versucht, mich hochzuheben. Es geht nicht. Meine Beine gehören nicht mehr zu mir, nichts gehört mehr zu mir, ich zitter, ich bestehe nur noch aus Angst, Todesangst, und Zittern. "Ich habe Angst!" Ich falle wie ein nasser Sack mit dem Gesicht auf den Boden. Es hämmert gegen die Tür, die Leute rufen. Ich bin gleichgültig. Aber er ist da. Das ist gut.

Schwärze. Lange Schwärze.

Ich muss scheissen. Die Kontrolle über meinen Körper habe ich längst verloren. Er steht vor mir, verzweifelt. Die Scheisse stinkt nach Tod. "Spül!" schrei ich ihn an. "Bitte spül!" Er spült, während ich mir auf die Schuhe kotze. Kalter Schweiss läuft mir in Strömen über den Rücken, meine langen Haare sind klitschnass. Alles an mir ist klitschnass. Die Welt dreht sich seit Stunden. Es gibt kein Klopapier, ich kann nicht stehen, ich kann mich nicht anziehen, ich hänge an ihm, wie eine tote Puppe.

Er kniet sich vor mich, zieht mir meine verkotzte Jeans über meinen dreckigen Arsch, bringt alle Kraft auf, um mich am Stehen zu halten, doch ich breche runter, einfach runter. Sklave der Gravitation. Sitze in meiner eigenen Kotze. Ein erbärmliches verficktes Häufchen Elend.

Schwärze.

"Wir müssen raus!!!" "Ich kann nicht!" flüster ich, ich kann nicht. "Ich weiss." Schwärze. Lasst mich einfach von hier gehen.

Ich fühle, dass mich Hände tragen. Dann noch welche. Ich kann mich von oben sehen, sehe, wie ich aus dem Laden geschleppt werde wie eine verfickte Drogentante, vollgekotzt, ohne Bewusstsein. Dann eine kräftige Stimme aus dem Schwarz. "Was hat sie genommen?" Die Stimme ist nervös, aufgeregt. "Extasy", sagt er.
Eine Leiche. Aber es ist mir scheissegal. Andere Hände tragen mich nun, stärkere.

Tiefe Dunkelheit. Ich bin nicht mehr.

Ich atme in eine weisse Plastiktüte.

Schwärze.

Ich liege in seinem Bett, er stellt neben mich einen Mülleimer. Dann kam das Nichts.

Als ich aufwache, rieche ich meine eigene Kotze. Rieche die Scheisse an meiner Hose. Entgeistert schaue ich ihn an. "Was war das gestern?" "Du hast die Grätsche gemacht, und zwar ganz schön rapide." Ich bin fassungslos. Ungläubig. War das ich? Aber ich bin es, und ich bin eindeutig lebendig, auch wenn ich mich nicht fühle wie ein Mensch.

Es ist 3 Uhr nachmittags. Er steckt mich unter die Dusche, kocht mir Tee, gibt mir seine kuscheligsten Klamotten, reicht mir Brot und rekonstruiert die Nacht für mich. "Wie soll ich dir danken?" frage ich. "Doch nicht dafür", sagt er nur.
Wir vertreiben uns die Zeit mit "Dänische Delikatessen", "Die Verurteilten", und bei "Casino" schläft er wieder ein. "So instabil will ich dich nicht gehen lassen. Bleib noch einmal hier heute Nacht."

Ich möchte ihn so gerne umarmen, ihm so gerne zeigen, wieviel es mir bedeutet. Die Nacht hat mich endgültig an ihn gebunden. So bin ich gestrickt. Für mich fühlt sich an, als hätte er mein Leben gerettet, und sei es nur für diese eine Nacht. Auch wenn leise, bösartige Stimmen in mir wissen, dass er ebenso Auslöser meiner Gierde ist. Ohne ihn ist weder das eine noch das andere.

Mit großen Augen starre ich in die Dunkelheit, und lausche seinen ruhigen Atemzügen. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, die Gedanken rasen. Das dunkle Tier in mir, es ist nicht gestorben. Es hat all die Jahre nur geschlafen. Wer sperrt es nun wieder ein?

Oktober 2007  ... link








Montag, 1. Oktober 2007


Oktober 2007 - Der neue Satzanfang

Die freie frau war die siegreiche Autorin des September- Wettbewerbs! Herzlichen Glückwunsch nach Paris!!!

Und hier ist der von ihr gewählte Satzanfang:

Eigentlich begann alles schon viel frueher.

Bis zum 28. Oktober, 21:00 Uhr können dann wieder - hoffentlich viele und unterschiedliche - Geschichten eingestellt werden.

Wir freuen uns darauf!!!

Oktober 2007  ... link








Montag, 1. Oktober 2007


It's all over

but it ain't over...

Die Stimmen sind gezählt und es gibt einen Gewinner...

So, nun könnt Ihre Eure Stimmen abgeben, welcher dieser Texte hat Euch am besten gefallen? Bis zum 30. September, 22:00 Uhr, könnt Ihr abstimmen....

 
31.25% (5 Stimmen)
Das größte Glück

 
6.25% (1 Stimme)
wissentlich

 
12.5% (2 Stimmen)
Bianco.

 
6.25% (1 Stimme)
Jenseits

0% (0 Stimmen)
DéSirée

 
12.5% (2 Stimmen)
Mit aller Bestimmtheit

 
18.75% (3 Stimmen)
Dreck.

 
12.5% (2 Stimmen)
your mind is my playground

Insgesamt: 100% (16 Stimmen)

Angelegt von toxea am 2007.09.27, 23:19.
Diese Abstimmung wurde am 2007.10.01, 00:29 beendet.


und das ist
Das größte Glück

von... ja, das ist jetzt die Frage. Ich hoffe, der/die Autor/Autorin gibt sich jetzt zu erkennen und stellt den Satzanfang für den nächsten, den Oktoberwettbewerb.

Herzlichen Glückwunsch!

Und... auf ein Neues!!

Sorry, kannte mich bisher mit dem Verfassen von Umfragen leider nicht aus, deshalb erscheint der alte Text der Aufforderung zur Abstimmung hier auch...

Oktober 2007  ... link