Sonntag, 28. Oktober 2007
Blut

Eigentlich begann alles schon viel früher, aber damals fiel es niemandem auf. Weder mir, noch meinen Freunden und schon gar nicht den hochheiligen Herren der katholischen Kirche. Ich hielt es für Kratzer und Aufschürfungen und ärgerte mich über meine offensichtliche Ungeschicktheit. Das Blut trocknete schnell und ließ sich mit einer schwachen Alkohollösung auch einfach abwischen. Anfangs.

Einige Wochen später saß ich bei einem Arzt. An beiden Händen hatten sich mittlerweile rötgeränderte Löcher gebildet, aufgerissene Wunden, aus denen stetig ein Rinnsal aus Blut tropfte. Ich war mehrmals am Tag damit beschäftigt, einen neuen Verband anzulegen. Die Nachbarn machten einen großen Bogen um mich, nachdem man mich gesehen hatte, wie ich die blutdurchtränkten Binden in der Tonne entsorgt hatte. Ich wartete täglich auf einen Besuch der Herren in grün, wollte mir auch schon eine plausible Erklärung für meine seltsame Form des Hausmülls zurecht legen, aber mir fiel keine ein. Genauso wenig wie dem Arzt.
Er untersuchte mich von oben bis unten, säuberte die Wunden so gut es ging, aber das nachfließende Blut überraschte sogar ihn. Er nahm Blut- und Gewebeproben, aber die Werte waren völlig normal. Mir ging es gut, außer den ständig blutenden Löchern in meinen Händen war ich kerngesund. Man verwies mich an einen anderen Arzt, einen sehr fähigen Mann, wie man mir versicherte und ich könne auch gleich zu ihm gehen, das wäre terminlich kein Problem. Mit einer Tüte voll Verbandsmaterial und einer Adresse auf einem Notizzettel verließ ich die Praxis.

Der andere Arzt war Psychologe. Mir war nicht klar, wie mir das bei einem offensichtlich physischen Problem helfen sollte, aber einen Versuch war es wert. Es blieb bei dem Versuch. Nach endlosen Gesprächen über meine über alle Maßen unspektakuläre Kindheit, den typischen Irrungen der Jugend und einem wenig Aufsehen erregenden Erwachsenenleben war keine Besserung in Sicht. Ich glaube selbst der Doc war froh, als ich ihm gestand, dass ich auf eine Weiterführung der "Therapie" keinen Wert lege. Mein Leben war ihm wohl zu langweilig.

Etwa zur selben Zeit bekam die Presse Wind von der Geschichte. Plötzlich war ich belagert von Vertretern der Yellow Press, die keinen Hehl daraus machten, dass sie eine Geschichte schreiben würde - mit oder ohne meine Mithilfe. In diesen Artikel fiel auch zum ersten Mal der Begriff "Nachfolger Christi", was mich zur Zielscheibe diverser Religionsfanatiker jeglicher Couleur machte. Während die Erzkatholiken mich als Betrüger beschimpften und mir ein Ende in der Hölle voraussagten, sahen mich andere als neuen Heilsbringer, der ihre erbärmlichen Leben endlich in Ordnung bringen würde. Ein paar Religionsgegner waren der Meinung, ich hätte nur einen guten Trick auf Lager und das alles wäre ein Protest gegen die Kirche. Ich war ihr Held. Dabei wollte ich nur meine Ruhe und Hände ohne blutende Löcher.

Mittlerweile hat sich die Meute satt gelesen an Berichten über den "Nachfolger Christi" mit den blutenden Händen. Es gibt nichts spannendes zu berichten und nach Hunderten von Artikeln, die immer wieder das Gleiche berichteten und keine Neuigkeiten mehr zu bieten hatten, erlosch langsam das Interesse. Das Telefon klingelt nur noch selten und auf der Straße werde ich nicht mehr angesprochen. Man hat sich an meine dick verpackten Hände gewöhnt. Die Religionsfanatiker haben sich so schnell verzogen, wie sie kamen. Es ist wieder Ruhe in mein Leben eingekehrt. An die immer verbundenen Hände werde ich mich gewöhnen, es bleibt mir auch nichts anderes übrig. Dass sich nun auch blutende Löcher an meinen Füßen gebildet haben, macht mir allerdings etwas Sorgen, aber noch schlimmer sind die blutenden Stellen an der Stirn. Kleine Löcher, als hätte man die Haut mit Dornen perforiert. Ich befürchte, ich muss meinen Vorrat an Verbandsmaterial aufstocken.