Montag, 23. Juni 2008


Miss Robinson

Sie waren besser angezogen als gestern. Seltsam fremd standen sie sich gegenüber und betrachteten das, was sie so aneinander noch nicht erlebt hatten: Er mit steifem Kragen und einer komischen Fliege drumherum. Die Anzugjacke spannte bei jeder Bewegung. Sie im langen Kleid, apricotfarben. Die Schultern frei und immer das unangenehme Gefühl, dass der weibliche Vorbau gleich frei liegen würde. Was natürlich Unsinn war, denn er hatte noch vor einigen Momenten etwas von "eingesperrt" gespöttelt, obwohl sie sich eher zu frei fühlte. Um die Schulter trug sie einen Schleier. ("In der Kirche bedeckt man sich!", hatte die Schwiegermutter behauptet und dabei streng geschaut. - Was, so fragte sich nun, soll i c h eigentlich in einer Kirche?)

Gestern war es leger zugegangen, manche kamen sogar kostümiert. Das Wetter war gut gewesen und man konnte im Garten feiern. Einer der Freunde hatte einen Projektionsapparat so aufgestellt, dass an der weissen Wand die Filme von früher zu sehen waren: Urlaub am Meer im Wechsel mit Kindergartenaufnahmen. Sie hatten getrunken, getanzt, zuweilen sich (sie ihn oder er sie) oder auch den oder jenen Freund, diese und jene Freundin umarmt. Es fühlte sich an wie ein Abschied, obwohl doch keiner von ihnen weg gehen wollte. Sie blieben alle da, auch wenn sie nachher aus der Kirche kämen. Sie blieben die, die sie vorher waren.

Oder nicht?

Sie drehte sich vor dem mannshohen Spiegel und konnte sich mit dieser Frau da drinnen nicht recht anfreunden. Nicht, dass die schlecht ausgesehen hätte, eher gar nicht übel, aber mit ihr, der da drinnen in ihrem Kopf, hatte sie nichts zu tun. Die da drinnen in ihrem Kopf war eine von denen gestern Abend gewesen. Eine von den Tänzern, die später erhitzt in den Pool sprangen. Eine von denen, die sich beim Übergang von der Nacht zum Tag in Badetüchern auf dem Rasen zur Ruhe legten und der beruhigenden Endlosschleife des Projektors zusahen bis sie einschliefen und von der Vormittagssonne geweckt wurden.

Sie trat einen Schritt näher an den Spiegel heran: "Du, ich sehe scheisse aus!"
Er, hinter ihr, rückte den Schritt nach und meinte: "Es gibt Schlimmeres." Er küsste sie auf die nackte Schulter.
"Aber auch Besseres.", meinte sie.
" Das Taxi wartet, komm."
Unten angekommen, öffnete er ihr die Autotür, half ihr mit dem Kleid nach drinnen, klopfte suchend an seine Brust.
" Ich bin gleich wieder da, hab´ die Ringe vergessen."
Sie sah ihm nach, wie er in der Haustür verschwand, schlug die Wagentür zu und atmete bei geschlossenen Augen zwei Mal tief ein und aus. Dann sagte sie zu dem Taxifahrer:
"Fahren Sie."
"Wie bitte?" Der Taxifahrer wandte sich zu ihr um.
"Ja, fahren sie einfach. Irgendwohin ans Meer."

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Das bin ich

“Sie waren besser angezogen.”
Es war typisch für sie, ihm ein Kompliment erst zu machen, wenn die Gelegenheit, der Moment längst vergangen war. Mehr noch, sie beleidigte die Gegenwart noch mit dieser Feststellung.
Er ruderte, kläglich. Er stakte eher mit den Paddeln im Wasser, ohne wirklich den Druck des Wassers nutzen zu können um sich abzustoßen. Er blickte sie dabei an. Ach Scheiße, was für ein Idiot er doch war!
Sie saß in ihrem weißen Sommerkleid auf der hölzernen Bank da, wie eine Dame längst vergangener Zeit. Ihr fehlten noch das Umschlagtuch und der Sonnenschirm. Elegant tauchte sie eine Hand in das nur langsam sich bewegende Wasser und schaute ihn fast mitleidig an.
Er schwitzte längst in dem braungemusterten Pullover.
„Mir gefiel die Leichtigkeit, Sie schienen selbstsicher und deshalb so attraktiv. Ich weiß noch genau, dass ich aus diesen Gründen nur bereit war uns noch ein weiteres Mal zu treffen.“
Fuck, wie stellte sie das an, dass er sein eigener Konkurrent war?
Er holte mitten im See die Paddel ein und riss sich den Pullover nahezu vom Körper. Das langärmlige Hemd darunter klebte ihm an Rücken und Brust.
„Wenn Sie wollen, kann ich mich ja gänzlich ausziehen. Es wäre schrecklich, wenn ich Sie mit meinen Kleidern beleidigte“, er ahmte ihre Sprache nach, sein Tonfall war genervt und er griff nach dem Picknickkorb und nahm die schon geöffnete Sektflasche und trank einen großen Schluck aus der Flasche, die Sektkelche ignorierend.
In jeglicher Hinsicht ein Fehler, er wusste es. Aber es war ihm nahezu egal, einfach nicht mehr erträglich. Er verspielte alles worauf er Stupiderweise hingearbeitet hatte und zudem perlte der nur noch leicht gekühlte Sekt in seiner Kehle über, lief etwas aus seinem Mund, den Hals hinunter und schäumte in seinem sowieso erregt übersäuerten Magen.
Er zwang sich der Wahrheit ins Auge zu blicken, also ihr. Doch sie zeigte ihm nicht das Erwartete. Ihre Pupillen waren geweitet, die eben noch im Wasser befindliche Hand nun auf der Brust, einen nassen Fleck hinterlassend saß sie da und starrte ihn an. Ihr Mund offenbar vor Erstaunen leicht geöffnet.
Dann warf sie sich an ihn, so dass das Boot stark ins Schlingern geriet.
„Warte, ich helfe dir“, sagte sie atemlos und riss an den oberen Knöpfen seines Hemdes.

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