Donnerstag, 24. April 2008


Leben

Sie zog langsam einen Handschuh aus. Obwohl es ein intimer Moment war, machte sie nicht viel Aufhebens darum. An jedem Tag, der endete, wurde aus der mondänen, behandschuhten Frau, die sie schien, die Frau, die sie wirklich war.
Sie betrachtete diese ihre Hand an jedem Abend erneut, als wäre sie etwas Erstaunliches, obschon ihr klar war, dass Prothesen allenfalls hilfreich, nicht jedoch bestaunenswert sind. Eher lästig, wenn die Nervenenden, die den Wunsch einer Bewegung spüren, zucken und nichts passiert. Sie betrachtete dieses rosa schimmernde Konstrukt, das ein Teil von ihr sein sollte, an jedem Abend erneut. Es gab, so wusste sie, bereits Prothesen, die sich bewegen konnten, ganz wie die Nervenenden zucken. Man brauchte nur ein wenig Übung und allerhand Geld. Am Geld fehlte es nicht, aber sie hatte sich nie zu einer solchen Lösung entschliessen können. Es wäre gewesen, als würde sie einen Teil ihrer Geschichte einfach ignorieren. Leben, so wusste sie spätestens seit damals, ist die Summe all dessen, was wir getan haben. Und gelegentlich fragte sie sich, ob die getanen oder die unterlassenen Dinge einst schwerer wiegen würden.

An jenem Abend stand er in der Küche, wie an beinahe jedem Abend. Er liebte es, zu kochen. Besonders liebte er es, für sie zu kochen. Wenn sie erschöpft von der Arbeit nach Hause kam, wurde sie regelmässig vom Duft exotischer Gewürze empfangen.
An jenem Abend nahm er ihr nicht wie sonst die Handtasche und den Mantel ab, um sie nach draussen zu tragen. Er sah nur kurz auf und blickte ihr tief in die Augen, als suche er nach einer Wahrheit. Vielleicht auch suchte er nach der Bestätigung seines Irrtums. Er fand: Eine Frau, deren Wangen von der Liebe gerötet und deren Blick irgendwo zwischen Verklärtheit und Sättigung schwebte.
An jenem Abend musste ihm klar geworden sein, dass seine Kocherei, und wäre sie noch so sehr von liebevoller Hingabe erfüllt, bestenfalls ein Nachtisch sein konnte.

Die Hand, ihre, die echte, lag plötzlich am Boden. Erstaunt betrachtete sie den Stumpf, aus dem es zunächst nicht einmal blutete. Sie weiss noch, dass es ihr wichtiger schien, ihn verletzt zu haben. Ihre eigene Verletzung bemerkte sie nicht, bis sie hinter einem Nebel zu Boden sank.

Als sie wach wurde, war er verschwunden. Und auch als sie aus dem Krankenhaus wiederkam, blieb er verschwunden. Er hatte alles da gelassen, einschliesslich ihrer sämtlichen Kontenvollmachten.
Den anderen jedoch sah sie nie wieder. Er war nicht wichtig gewesen. Schon gar nicht wichtig genug für alles, was sie seinetwegen verlor.

Leben ist die Summe all dessen, was wir getan haben, dachte sie noch einmal, und legte die Prothese neben den Handschuh.

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Mittwoch, 23. April 2008


Moonlight

Sie zog langsam einen Handschuh aus. Linke Hand. Zarte, helle Haut, feingliedrige Finger, gepflegte Nägel kamen zu Vorschein. Berühre mich, dachte ich, aber so weit war sie noch nicht. Rechte Hand. Ein silberner Ring am Mittelfinger, ohne Verzierungen, schlicht, ein einzelner, kleiner, glitzernder Stein, ich mag solchen Schmuck. Ich mochte diese Hände. Sie lächelte. Ich war angespannt und sie sah es mir an. Was sollte das hier werden? Sie wisse es selber nicht, hauchte sie mir Sekunden später ins Ohr, ohne das ich etwas gesagt hatte, es war, als könne sie Gedanken lesen. Draußen regnete es, dicke Tropfen landeten auf dem Fensterbrett, es plitschte und platschte, das Fenster lachte breit, mit vielen zerfließenden Tropfen darauf, hunderte, tausende, dahinter tiefe Nacht, spärlich erhellt vom orangenen Licht der Straßenlaternen, keine Menschenseele wagte sich jetzt noch auf die Straße.

Die Luft war erfüllt von ihr. Und von ihrer Musik. Entspann dich, hatte sie gesagt, auf ein paar leuchtende Knöpfe gedrückt und die Musik ging an. Kerzen. Flackernde Kerzen vor dunklen Vorhängen, das Licht gedämmt. Übertriebene Romantik? Nein, nein, nein. Und es war warm und die Bettdecke weich, sie roch ganz frisch und nach ihr, obwohl ich bisher wenig von ihr riechen konnte. Nur eine kleine Kostprobe von ihrem Hals, dieser bedeckt mit zarter, weicher Haut, ich spürte kleine Härchen an meiner Nase, meinen Lippen, ein leichtes Pulsieren, heißes Blut in feinen Äderchen, Adern, Herzschlag, minimal erhöht. Endlich war ich ihr nahe gekommen und konnte sie riechen, konnte sie mir einprägen, jetzt und für immer. Kurz darauf verschwanden wir.

Ihr Haar war weich, so weich, dunkel und lang, wie ich es liebe und sie ließ es über mein Gesicht fallen, deckte mich zu, erleichterte meinen Traum, das war doch nur ein Traum? Aber dafür fühlte es sich zu gut an, zu gut, viel zu gut und ihre Haut, ihre warme weiche Haut und dazu diese Haare und die Augen, in der Dunkelehit ein wenig leuchtend, fluoreszierend, wie die Augen einer Katze, ihre Lippen, nicht zu voll, nicht zu rot, gerade richtig. Richtig. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, dachte ich und dabei hatte ich es doch so plump angestellt, viel zu plump und dumm, aber das schien ihr nichts auszumachen. Nein, überhaupt nicht.

Und dann ihre Hände, diese zarten, weichen Hände, mit dem silbernen Ring am rechten Mittelfinger, wie leicht sie sich um meinen Hals schlossen und wie viel Kraft sie plötzlich entwickelte, wie ihre Nägel, diese wunderschön gepflegten Nägel, wie sie sich lang und scharf in mein williges Fleisch bohrten und ich spürte, wie mein Blut langsam aus vielen Wunden lief, über ihre Finger, über ihre Lippen und ihr leises Lachen dabei, kehlig, lustvoll, ein tiefes Stöhnen von ihr, ein letzter Seufzer von mir, bevor sich ihre Finger endgültig um meine Kehle schlossen, ja, ja, ja, versuchte ich zu rufen, aber aus meinem Mund kam nichts mehr, kein Laut, keine Luft, kein Stöhnen und auch kein Seufzer mehr, in dunkler Nacht verschwand ich dann für immer, fiel und fiel, hinab, tiefer, tiefer, immer tiefer, hinein in ihre dunklen Haare, in ihren dunklen Schlund, dunkel, warm und voller Lust, ohne je wieder zurück zu blicken, ohne je wieder einen anderen Gedanken denken zu können, ohne jemals wieder von ihr losgelassen zu werden.

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Samstag, 12. April 2008


April-Wettbewerb

Herr Referral hat ja die Satzanfänge schon gepostet, aber der Vollständigkeit halber wollte ich noch mal darauf hinweisen, dass die Texte wieder bis zum 27. April gegen 21:00 eingestellt werden können, dann geht es wieder in die Abstimmungsphase.

Frau Okavanga, da es im März ja nicht so richtig geklappt hat, möchten Sie die Abstimmung im April moderieren?

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