Zögernd öffnete er die Tür. Die Tür zu seinen hintersten Gedanken. Gedanken, die bisher so eisern verschlossen und hinter dicken Mauern einzementiert waren.
Er ließ seine Gedanken driften, vorsichtig, immer nur ein kleines Stückchen auf einmal ging es immer tiefer. Tiefer in verbotene Winkel und verborgene Schatten. Unerwünschte Sehnsüchte tauchten vor ihm auf.
Es traf ihn wie ein Blitz, als er mit geschlossenen Augen alles plötzlich so deutlich vor sich sah. Er konnte riechen, was er vorher noch nie unter seiner Nase hatte. Jedenfalls konnte er sich nicht an diesen Geruch erinnern. Dennoch war er da. So plötzlich wie alles andere auch. Er hörte Geräusche, in aller Deutlichkeit, die er zuvor noch nie gehört hatte. Er fühlte Dinge, die ihm bisher völlig unbekannt waren.
Er spürte wie er eine Gänsehaut bekam, sowohl real als auch in seinem Kopf.
Er spürte alles mit so großer und wahnsinniger Intensität, dass es fast schmerzhaft war. Und er wusste, irgendwann würde es noch viel schmerzhafter werden.
Er holte tief Luft als er spürte, wie er begann, sich zu verlieren, seine Kontrolle zu verlieren. Die Kontrolle, die er nie hatte abgeben wollen. Nicht so. Nicht freiwillig.
Mächtige Phantasie. Schaurig schön jagte sie ihm Angst ein. Was würde noch kommen?
September 2007 ... link
„Zögernd öffnete er die Tür.“ -- Ich schmeiße den Roman in die Ecke. So ein dreckiger Schund. Dieser Satz ist nur der Gipfel von zweiundvierzig dreckigen Schundseiten. Welcher beschränkte Mensch traut sich, so etwas einen Roman zu nennen? Stolz sollte ich sein, dass ich überhaupt bis hierher durchgehalten habe. Immer in der Erwartung, dass sich mir spätestens auf der nächsten Seite der Sinn dieses Textes erschließen wird. Doch ich bin nicht stolz. Ich bin am Ende. Ich kann nicht mehr. Ich will keine kraftlosen Plattitüden, keine vorhersehbaren Wendungen, keine flachen Charaktere. Es ist immer wieder das Gleiche. Du nimmst einen Text. Du liest ihn. Deine Gedanken schweifen irgendwann ab. Du hast keine Chance bei ihm zu bleiben. Immer wieder. Du freust Dich schon über andere Namen, andere Orte oder andere Papiersorten. Das sind an einem Donnerstagabend Deine Höhepunkte. Einsame Höhepunkte nach vier Tagen voller Qual und Ekel. Es widert Dich an. Jeden Tag etwas mehr. Jede Woche. Jeden Monat. Und irgendwann wirst Du Dich rächen. An ihm. Er stiehlt Dir Deine Zeit. Schickt Dir seinen unverlangten Bockmist. Und Du musst ihn lesen. Er meint, er wäre der Allergrößte. Der Beste. Nur leider unverstanden. Bisher. Aber jetzt schlüge seine Stunde. Weil er seinen Roman, diesen Drecksroman endlich fertig geschrieben hat. Er wird gefeiert werden. Er wird hofiert werden und die Leute werden ihm seinen erbärmlichen Dreck aus den Händen reißen. Er sieht sich im Scheinwerferlicht und im tosenden Applaus.
Doch er hat nicht mit mir gerechnet. Denn ich bin die Hürde, die Instanz und die Möglichkeit.
In Wirklichkeit.
Ich sammle die losen Blätter aus der Ecke des Büros zusammen, stopfe sie zurück in den Umschlag und verlasse den Raum. Durch den leeren Flur gehe ich zu der Sekretärin des Lektorats und knalle ihr den Umschlag auf den Tisch. Auf einen Zettel schmiere ich: „Ablehnung! Lass es vier Wochen liegen. Dann Standardschreiben. Wieder nur Dreck! Reiner, erbärmlicher Dreck!“ Meine Augen wandern auf die fünf neuen Umschläge in meinem Postfach.
Dreck.
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Zögernd öffnete er die Tür. Jedenfalls dachte er daran sie zu öffnen. Als Anfang sozusagen, vielleicht auch als Schlussstrich, fulminant würde er sie jedenfalls, ganz sicher hinter sich zuwerfen… Nein besser, sie lässig zuziehen. Genau, genau so und nicht anders. Vielleicht ein Nicken, nur ganz leicht mit dem Kinn. Keinesfalls entschuldigend, einfach, einfach zum Ausdruck bringend, dass er jetzt da wäre und es gut sei… Während seine Fingerspitzen leicht feucht auf dem Türknauf auflagen, stellte er sich seinen Gang zum Tisch vor. John Wayne, aber nicht in schwuchtelig, sondern wirklich männlich. Also doch nicht wie John Wayne… vielleicht wie Vincent Cassel. Er schürzte die Lippen um den arroganten Gesichtsausdruck Cassels zu imitieren. Ja so, nur nicht so schmierig. Der Schulterriemen begann zu rutschen.
Mann! So wird das nichts! Es schrie in ihm, er wurde fahrig, die Tasche fiel mit einem lauten, ohrenbetäubenden, sicher unendlich durchdringenden Knall zu Boden.
Panisch schloss er die Augen, fühlte Schweiß ausbrechen, er lief direkt über die faltig, verkrampften Augenlider. Sein Finger zitterte auf dem Knauf. Er wartete.
Nichts geschah, noch nicht mal in der Ferne öffnete sich auf dem Gang eine Türe. Es geschah nichts. Bestimmt stand die Welt still.
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