Mittwoch, 21. Februar 2007


Das unverstandene Leben der Aristokratie

Gebannt starrten sie auf das Schauspiel, das sich ihnen bot: tanzende Wassertropfen durchstoben die Sonnenstrahlen, wie ihr schönster Traum die Realität.
Vier kugelgroße Augen, umrahmend vom weichsten und dicksten Fell, welches diese bunte Welt zu erschaffen vermochte, hatten die tobenden Sonnentropfen genau im Visier.

Das lustige Augenpaar von beiden war eingebettet in ein Knäuel aus ziegelroter Haarwolle. Perfekte Länge. Perfekte Pflege.
Tollpatschig wanderte die Augen durch das hohe Gras, während das andere Augenpaar damit beschäftigt war, wie ein Ninja durch das frische Grün zu schleichen und Gefahren zu wittern, bevor selbst James-Bond eine Chance gehabt hätte, sie wahrzunehmen.
Wachsamer Blick. Wachsame Kraft.
Ein recht sonniges Plätzchen auf einem großen, wohlgeformten Stein, lockte das rostrote Fell zu sich, und der adonis-gleiche Kater nahm es gern an, um das noch andauernde Schauspiel besser beobachten zu können.
Die Sonne hatte den Stein wohlig aufgeheizt und der dicke Bauch des Katers räckelte sich in seiner unendlichen Schönheit und in seinem Glück, seinem Mittagessen beim Spielen zusehen zu können, während ihm immer größere Pfützen im aristokratischen Maul zusammenliefen.

Die beiden anderen Augen saßen jetzt hocherhobenen Hauptes neben ihm und hielten konzentriert Wacht. Könnten doch feindliche Ninja’s die gleiche Beute auf Ihre Mittagskarte gesetzt haben:

„Schnatternde Spatzen an einer Vinaigrait aus frischem Regenwasser und feinsten Sonnenstrahlen“.

Die Augen wurden zu schmalen Schlitzen, um keinen Eindringling zu übersehen. Sie nannten ein edles, silber-weiß-mattiertes Fell ihr Eigen. Argwöhnisch blickte der über allen Dingen erhabene Kater auf seinen dösenden Begleiter; zu oft schon war jener ihm in einem unaufmerksamen Moment davongeeilt, um dann in einer noch größeren Katastrophe zu landen, als jene, aus welcher der Graue ihn gerade erst befreit hatte.
Beim Erkennen der prekären Situation geruhte das rote Knäuel dann ungläubig um sich zu blicken. Verdutzt, dass nicht jedes Mitglied seiner Art sein Freund sein wollte und nicht jeder bellende Kläffer Katzen gegenüber so tolerant war wie Lassie, suchte seine Hoheit nach seinem grauen Ritter, der mal wieder seufzend zum rettenden Sprung ansetzte, um Mr. Tollpatsch zu retten.

Lassie kannte der Rote übrigens aus dem Fernsehen. Dieses Ding stand genau vor dem wundervoll großen, breiten und weichen Sessel, welcher nicht mehr als nur angemessen war, den ach so geschundenen Körper der rote Aristokratie am Ende eines anstrengenden Tages zum Schlaf zu betten.
Ach ja, wie freute er sich auf seinen großen Platz bei Lassie. Hoffentlich wurde er nicht wieder von einem dieser besserwisserischen und ständig im Weg stehenden Zweibeiner belagert.
Welch Affront! Als ob sie diese Kissenpracht überhaupt zu würdigen wüssten.
Nur ER beherrschte die Kunst, einen perfekten weichen Flecken durch präzises Malmen mit Krallen und Tatzen noch perfekter werden zu lassen, um dann in gebieterischer Entspannung seinen leicht herabhängenden Bauch in das neue Lager fallen zu lassen.

Komisch nur, dass jener Zweibeiner mit den meist viel zu vielen, und auf jeden Fall viel zu hohen Tönen, sein Ringen um die hohe Kunst des Schlafstätten-Bauens in zerzausten Haaransätzen mittlerer, schlecht geschnittener Länge, absolut nicht zu schätzen wusste. Meist honorierten das Weibchen sein Bestreben nach nicht mehr als einem durchaus angemessenen Schlafplatz mit nur noch mehr hohen und lauten Tönen. Der ziegelrote Fellhaufen trottete dann gelangweilt davon und überließ diese unvollkommene Schlafstätte wieder den Zweibeinern. Er hatte die Aufregung noch nie verstanden.

Tsss, als würde er sie jedes Mal beim Schlafen stören. Oh! Hatte er genau das vielleicht getan? Und wenn schon! Keine Zeit, sich über die beiden unzureichend Befellten Gedanken zu machen, welche er sich lediglich für das Reinigen seiner Toilette und für ausgedehnte Massagestunden zu Hause hielt!
Jetzt musste er sich auf ein höheres Ziel konzentrieren: sein Mittagessen.

Sein grauer Gefährte saß neben ihm, den Blick, nicht von der Mahlzeit wendend. Spannte seinen drahtigen Körper. Sehnen spielten in der Sonne. Ohren, Augen und Barthaare bildeten eine taktische Einheit. Zusammen mit Muskeln und Krallen schmiedeten sie einen mörderischen Plan, bis der lautlose Athlet pfeilartig durch die Luft schoss.

Der Rote gähnte auf seinem Thron aus Stein. Konnte er doch nicht verstehen, wozu diese anstrengende Hektik auf einmal dienen sollte. Die Spatzen wären bestimmt auch noch nach einem klitzekleinen Nickerchen auf diesem warmen Fleckchen Erde da. Bestimmt.
Und wenn nicht, so hatten seine beiden Zweibeiner auf jeden Fall noch eine Dose mit Leckereien aus Fleisch oder Fisch in diesem hohen Schrank, die sie ihm bei seiner Heimkehr schenken würden.
Er müsste für diese Mahlzeit noch nicht einmal jagen. Ein Schnurren würde genügen. Vielleicht noch ein Streichen um die Beine, und die beiden Lauten würden dem Charme dieses roten Wollknäuels milde lächelnd erliegen.

Der graue Jäger, dessen silbriges Fell durch die Sonne nur aus einzelnen leuchtenden Strahlen zu bestehen schien, rammte vergnügt seine Zähne tief in seine Beute. „Genieß du nur, mein alter Freund!“, warf ihm seine Majestät entgegen. „Ich glaube, mir ist heut nicht nach Geflügel. Mehr nach Kaninchen in zartem Wildgelee.“, und während er sich die Mundwinkel von Speichel befreit, fügt er erhaben hinzu: „so jagt doch Jeder auf seine Weise.“ Er gähnte, schloss seine wunderschönen Augen und genoß die traumgleiche Vision, sich kraftvoll und leicht über die Felder tanzten zu sehen. Das Maul voller Mäuse und Spatzen. Was für ein Schauspiel!

Februar 2007  ... link