Samstag, 23. Dezember 2006


Weihnachtsmärchen

"Das kannst du nicht tun", rief ich atemlos. Die letzten Kilometer fiel es mir schwer mit dem alten Mann Schritt zu halten und dabei zog er den schweren Karren mitsamt Ladung ganz alleine. Der alte Mann blieb stehen und schnaubte. “Was kann ich nicht tun?”, schrie er. “Diesem hirnlosen Idioten das Fell über die Ohren ziehen? Und wie ich das kann.” Sein heißer Atem dampfte in der kalten Luft. Selbst durch seinen dichten Bart konnte ich das wütende Zittern der Lippen sehen. Mit einem kräftigen Griff packte er den Karren und stapfte weiter durch den Schnee. Kleinlaut lief ich hinter ihm her.

Kurze Zeit später kamen wir an eine kleine Holzhütte. Der alte Mann fing an gegen die Tür zu hämmern. Mit bebender Stimme rief er: “Mach auf, du missratenes Stück Fell.” Seine Fäuste ließen das schwere Holz der Tür erbeben, aber drinnen war nichts zu hören.

“Sieht so aus, als wäre er nicht zuhause, oder Chef?” Meine Worte kamen zaghaft und ich ging hinter dem Karren in Deckung, als er auf mich zukam. Er griff unter die Decke, welche die Ladung wärmte und brachte eine Axt zum Vorschein. “Das wollen wir doch mal sehen”, brüllte er und begann das Schloss zu malträtieren, welches schon nach wenigen Minuten in Brüche ging. Mit einem Tritt stieß er die Tür auf. “Hasilein, wo bist Duuuuu?”

Die Tür führte in den einzigen Raum der Hütte, der gleichzeitig als Wohnzimmer, Küche und Werkstatt diente. Ein strenger Geruch schlug uns entgegen. Schaler Zigaretten– und Zigarrengeruch, gemischt mit dem Gestank von Alkohol, Schweiß und sonstigen Missgerüchen. Was wir sahen war eine einzige Müllhalde. Zwischen Chipskrümeln und Zigarettenkippen lagen leere Chipstüten. Flaschen mit kümmerlichen Resten bevölkerten den Boden, die Regale, Tische und sonstige Möbel. Auf dem großen runden Tisch in der Mitte des Raums lag eine grüne Filzmatte, darauf noch einige Jetons und viele übervolle Aschenbecher. Von der Werkbank kamen schnarchende Geräusche. Den Oberkörper flach auf der Werkbank ausgestreckt, die Füße auf den Boden baumelnd lag ein abscheulich richtendes Etwas. Die Ohren hingen wie die Arme schlaff zur Seite, das Stück weise Fell über dem Bauch war übersät mit Resten von Erbrochenem.

Die Krümel auf dem Boden knirschten, als mein Chef zur Werkbank ging und sich den betrunkenen Hasen griff. Er packte ihn an der Hautfalte im Nacken und trug in angeekelt nach draußen, wo er ihn kopfüber in eine mannshohe Schneeverwehung steckte. Die plötzliche Kälte zeigte Wirkung, es kam Leben in den versifften Hasenkörper.
“Bist Du verrückt, Du fetter alter Kerl?”, schrie er. “Was soll denn das.” Die neue Lebensenergie schien auch den Stoffwechsel angeregt zu haben. Der Hase drehte den Kopf und übergab sich in großem Schwall in den Schnee. Als sich sein Magen wieder beruhigt hatte, schaute er mit blutunterlaufenen Augen nach oben zu meinem Chef, der ihn böse anfunkelte.
“Was das soll?”, brüllte der alte mit donnernder Stimme. Sein Körper bebte unter dem roten Mantel und seine Mütze erzitterte. “Hör mal zu, du pelziger Mistkerl.” Er schnappte den Hasen wieder am Kragen und hob ihn zu sich auf Augenhöhe. “Es ist ja schön Dich, dass Du gerade Urlaub hast und nicht arbeiten musst, aber andere müssen das sehr wohl.”

“Na und? Das kann Dir doch egal sein?”
“Was war gestern bei Dir los?”
“Geht Dich einen feuchten Kehricht an!”
“WAS WAR GESTERN BEI DIR LOS?”, schrie der alte Mann und hob die Axt.
“Ist, ja gut, ist ja gut”, sagte der Hase und legte die Löffel an. “Ein paar Kumpels waren da. Wir haben gepokert und ‘n bisschen was getrunken. Ging dann eben etwas länger.”

Mit dem Hasen in der Hand ging mein Chef zum Karren und hob die Decke an. “Sieh dir an, was du mit deinem kleinen bisschen trinken angerichtet hast.”
Als mein Chef die Decke zur Seite schob und Rudolph, das Rentier zum Vorschein kam, erhob sich eine Wolke von Restalkohol in die kalte Luft. Rudolphs ehemals leuchtend rote Nase glomm nur noch schwach. Die Zunge hing im aus dem Maul während er schnarchend seinen Rausch ausschlief.
“Am Sonntag ist Weihnachten, wie Du vielleicht weißt”, schrie der Weihnachtsmann. “Wie soll ich dieses versoffene Rentier bis dahin wieder fit bekommen?”
“Hey, woher willst Du denn wissen, dass der mit mir einen getrunken hat? Vielleicht war er auch in Frau Holles Schneebar oder sonst wo”, ächzte der Hase.
Der alte Mann ging an das andere Ende des Karrens entfernte die Decke und hob Rudolphs Hinterläufe. “Weil Du anscheinend selbst im Urlaub Deine Leidenschaft fürs Eier anmalen nicht ablegen kannst, du Dämlack von einem Osterhasen.”
“Na und? Was solls? Fliegt Rudolph dieses Jahr eben nicht mit. Die anderen sind doch stark genug.”
“Ja, aber eine leuchtende Nase hat nur Rudolph und wie du siehst, wird die vor Sylvester nicht mehr ihren Dienst verrichten können.”
“Tja, blöde Sache. Kann man aber nichts machen. Gibts eben keine Geschenke dieses Jahr. Pech. Ich leg mich dann mal wieder hin.”
“Oh doch, es wird Geschenke geben und zwar pünktlich wie immer.”

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Zugegeben, es sah merkwürdig aus, wie der Osterhase festgezurrt auf Comets Rücken hing und mit der roten Taschenlampe den Tieren den Weg wies, aber es erfüllte seinen Zweck. Sein Murren wurde vom Zischen des eiskalten Fahrtwindes so gut wie übertönt und wir schafften es, alle Geschenke rechtzeitig abzuliefern. Weihnachten war gerettet und ich hatte eine schöne Geschichte, die ich den Kollegen beim Elfenstammtisch erzählen konnte.

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Montag, 18. Dezember 2006


Verantwortung

"Das kannst du nicht tun", rief ich atemlos... „Ich kann das nicht tun. Ich sollte das nicht tun. Das hier stellt alles auf den Kopf, woran ich glaube und was mir wichtig ist. Es ist alles so viel bedeutender als du glaubst. Für mich ist es bedeutender. Ich sollte gehen. Sollte das nicht tun. Sollte einfach gehen. Doch ich kann nicht. Ich will nicht. Das kannst du doch nicht tun! Kannst du nicht aufhören damit? Dann müsste ich es nicht.“ Ich merkte, wie ich zitterte. Und du schautest mich nur an. Sagtest nichts. Gar nichts. „Hörst du mir zu? Denkst du etwas? Was denkst du?“ Schweigen. Dann wieder deine Hand, dein Arm, der mich an dich zieht. Deine Lippen, die meine berühren. Keine Antwort. Oder doch? Nicht die Antwort, die ich wollte. Oder doch? Für einen Moment ließ ich mich fallen. Doch gleich hatte mich die Angst wieder, zu tief zu fallen. Vielleicht nicht heute. Aber morgen. Wenn das hier längst vorüber ist. Angst, dass die Angst mich weiter und weiter verfolgt. Dass ich verliere, was viel wichtiger ist, als das hier. Harter Aufprall auf den Boden.
Aber noch konnte ich den Boden nicht sehen. Nur erahnen. Befürchten. Angst. Und trotzdem… Ich ging nicht. Ich tat es. Und du auch.

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Sonntag, 17. Dezember 2006


Vergangenheit

"Das kannst du nicht tun", rief ich atemlos...und starrte entsetzt auf den kleinen Weihnachtsengel. Zerbrochen lag er da, auf dem Boden. Sie hatte ihn in ihrer Wut gegen die Wand geschleudert. Der rechte Flügel lag einsam auf dem Boden, das goldene Kleid hing in Fetzen an dem Strohkörper. Wie ein Symbol lag er da. Ein Symbol für das, was einmal war und heute nicht mehr ist. Unsere Ehe, die Liebe, die wir miteinander geteilt hatten und die sich irgendwann und irgendwie davon geschlichen hatte. Fassungslos standen wir beide da, standen vor dem kleinen Strohengel und wussten in diesem Augenblick beide, dass es vorbei war.
Unsere Kinder hatten ihn gebastelt. An einem Wintertag wie heute. Im Kamin flackerte ein helles Feuer, die Adventskerzen warfen ein zartes Licht an die Küchenwand. Auf dem Tisch stapelten sich Stroh, Stoff und andere Utensilien.
Die Kinder lachten und sie strahlte mich an, mit ihren wunderschönen Augen. Draussen lag der Schnee auf den Dächern und drinnen war es warm. Damals, es war ein Sonntag kurz vor Weihnachten, hatten die Kinder den Strohengel gebastelt. Seitdem stand er jedes Jahr auf dem Kamin. Als ein erster Vorbote für die Weihnachtszeit und als ein Symbol, für unsere Familie, für das Glück, das wir miteinander teilten. Damals waren wir noch glücklich.

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Was übrig blieb

"Das kannst Du nicht tun!" rief ich atemlos, eher schon fassungslos. Dann sagte ich nur ganz ruhig "Nein", in dem ich auf seinen erhobenen Arm starrte.
Wir kannten uns drei Jahre, für beide war es die große Liebe gewesen, doch diese war in den letzten Monaten der Streitereien völlig verloren gegangen.
Unsere Wortgefechte steigerten sich zusehenst, keiner konnte nachgeben, jeder wollte Recht behalten. Aus Liebe war ein Kleinkrieg geworden.
" Du machst mich rasend " schrie er völlig außer sich, als seine Hand auf meiner Wange landete.

Dann war Stille, wir blickten einander nur an, es war eine Grenze übertreten worden.
Ich spürte den Schmerz kaum, guckte ihn nur an und merkte, wie die Leere sich weiter in mir ausbreitete.
Ohne einen Ton zu sagen, drehte ich mich um und ging hinaus.Ich hatte den Respekt vor ihm
verloren.

...und das "Ich wollte es nicht, tut mir leid" verhallte in dem Echo meiner sich entfernenden Schritte ...

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Samstag, 16. Dezember 2006


Haus am See

"Das kannst du nicht tun", rief ich atemlos, "Das solltest du nicht sagen." Und als ich ihren entsetzen Blick sah und die Tränen, die in ihren Augen glitzerten, wurde mir klar, was ich getan hatte. Mit zittriger Hand nahm sie sich eine Zigarette aus der fast leeren Schachtel, zündete sie sich an und rauchte still vor sich hin, den Blick von mir abgewandt. Ein verrückter Tag, gegensätzlich, erst Leben und dann dieses jähe Ende.

Wir hatten uns beide frei genommen, wollten endlich einen gemeinsamen Tag verbringen, Träume, die wir gemeinsam träumten, in die Tat umsetzen, leben und lieben, nur dieses eine Mal. Sie holte mich mit dem Auto ab, aus den Boxen tönte AC/DC, wir rauchten und schwiegen, es war keine peinliche Stille, eher angespanntes Schweigen, Spannung, Ruhe vor dem Sturm. Sie raste über die Autobahn, ab und zu dachte ich daran, was wäre, wenn sie jetzt einen Unfall bauen würde, was, wenn ihr etwas passieren würde, wenn mir etwas passieren würde, die Welt würde zusammenbrechen, alles verloren gehen. Vielleicht nicht das schlechteste und trotzdem hatte ich ein wenig Angst. Wir fuhren weit hinaus aufs Land, fuhren irgendwann von der Autobahn ab, ich hatte meine Hand vorsichtig auf ihren Schenkel gelegt, Halt suchend, die Nähe tat gut, sie machte Lust auf mehr, viel mehr, sie schaute mich herausfordernd an, mit wildem Blick aus leuchtenden Augen, was würde heute noch passieren?

Wir hielten vor einem kleinen Häuschen, stiegen aus, es war noch kühl, hatte gerade noch geregnet, es roch nach Frühling. Sie kramte ein wenig in der Tasche und musste dabei lächeln, nein, sie hatte den Schlüssel nicht vergessen, irgendwann fand sie ihn und machte zögernd das Tor auf, dann die Tür, mit Bauernmalerei verziert, nun war sie entschlossen, endlich waren wir in ihrem Haus am See, ein Liebesnest, romantisch, wir traten ein und waren mit uns selbst gefangen. Sie zog die Vorhänge auf, so dass wir auf den See schauen konnten, der still vor dem Haus lag, keine Boote, ein paar Schwäne schwammen herum, wir küssten uns lange, ausgiebig und innig, sie hatte einen so wundervollen Mund, mit dem sie ebenso wundervoll küsste, es fühlte sich vollkommen an, vollkommen und einzigartig. Unsere Hände eroberten gegenseitig unsere Körper, sie war zierlich, schlank, hatte so unglaublich weiche und zarte Haut, wunderbar duftend, hauchdünne Wäsche, nach und nach zogen wir uns aus, ich streichelte ihre kleinen, schönen Brüste, sie war erregt, ich auch, ich atmete den Duft ihres Bauchnabels ein, sie stöhnte leise, zog mich an den Haaren sanft nach oben und bugsierte mich auf das schmale Bett. Wir wälzten uns nicht wild vor Lust, wir lagen nebeneinander und streichelten uns, schauten uns an, ohne etwas zu sagen, lange, sehr lange, es war fast wie ein Ritual, wir ließen uns Zeit, genossen es, genossen uns. Immer wieder küssten wir uns, mir wurde schwindlig, alles um mich herum drehte sich, ich stand an einem Abgrund und sie wusste, wie sie mich hinabstoßen konnte.

Wir liebten uns, heftig, lustvoll, intensiv, ohne Kompromisse, sie stöhnte laut dabei, ich auch, wir ließen uns gehen, treiben, kein Absturz, sanfter Flug und butterweiche Landung in einem dicken Federbett, wir schauten uns an, waren völlig außer Atem, glücklich, fast zufrieden, der Hunger war fürs erste gestillt, wir rauchten gemeinsam, schweigend, den Rauch an die alte, braune Holzdecke pustend, ab und zu schaute ich verträumt aus dem Fenster, dann schaute ich sie an, wie sie da lag, wundervoll, zerbrechlich, verführerisch, nackt und sie, sie schaute mich an und sagte diesen einen Satz, vor dem ich Angst hatte, den ich nicht hören wollte, den ich so gern erwidern wollte, aber nicht konnte. Ich liebe dich. "Das kannst du nicht tun", rief ich atemlos, "Das solltest du nicht sagen." Meine Erwiderung, anstatt zu nehmen, was ich nehmen wollte, stieß ich sie weg und ab hier verloren wir uns.

Auf der Rückfahrt betretenes Schweigen, AC/DC lief noch viel lauter, "Highway to hell", oh ja, Baby, nun sind wir in der Hölle, gelandet im Abgrund, eine harte Landung, ein einziger Satz und alles war verloren. Für dich, für mich. Nicht, dass ich ihn nicht hören wollte, nein, tief im Inneren wollte ich, dass du es sagst. Aber nicht laut, bitte, nur nicht laut. Es ist vorbei, du bist weg und ich raus aus dem Spiel, weil ich nicht kann, wie du es gerne hättest, jetzt noch ein paar verworrene Mails, ein paar Mal aneinander vorbeireden, sich auseinanderleben, obwohl man noch nicht einmal zusammen gelebt hatte, aus und vorbei, ich liebe dich und doch kann ich es nicht. Ein paar wilde Gedanken schossen mir noch durch den Kopf, unausgesprochen, bitteres Schweigen, meine Wangen glühten, irgendwann schmiss sie mich raus, wortlos, mit traurigem Blick, kein "Tschüss" und kein "Good bye", kein letzter Kuss, ja, du bist ein Engel, ich bin es nicht.

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Dienstag, 5. Dezember 2006


Hoffnung

"Das kannst du nicht tun", rief ich atemlos, aber dann sah ich es. Ich dachte er wollte wegwerfen was er in der Hand hielt, wegwerfen was mir und uns so viel bedeutet.

Einen Moment lang dachte ich er wäre verrückt geworden; im nächsten Moment bereits schalt ich mich für meine Gedanken. Wie konnte ich das nur denken ?

Er hatte wieder Schmerzen. Die Schmerzen die unregelmässig auftraten, an unterschiedlichen Stellen, aus ganz unterschiedlichen Anlässen und manchmal, wie er sagte, auch ganz ohne Anlaß.

Mir tat es weh ihn so zu sehen. Ich hatte keine Vorstellung davon wie schlimm seine Schmerzen waren, aber für wehleidig hielt ich ihn nicht.

Ich wußte das er hoffte, den Aussagen vertrauen wollte und doch wußte ich auch das er zweifelte. Das tat mir weh.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Montag, 4. Dezember 2006


Spannungsbögen erzeugen, das haben wir wohl alle im November gut geschafft, meine Damen und Herren! Es war ein Spaß und ein Schrecken der Abstimmung beizuwohnen.

Ich möchte allen danken, die für Pont Rosé gestimmt haben, aber natürlich auch allen, die überhaupt mitschreiben und abstimmen in der Schreibwerkstatt. Sie alle tragen schließlich zum Erfolg dieser Seite bei.
Danke!

So, jetzt aber hurtig, schließlich ist der Dezember fast schon zu Ende.
Wollen wir also alle wieder schreiben? Kreativ sein bis ins Mark? Vielleicht mit diesem ersten Satz?

"Das kannst du nicht tun", rief ich atemlos..."

Sie sehen, in der Weihnachtszeit sollte miteinander kommuniziert werden.
Viel Erfolg und nochmals vielen Dank!

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