Freitag, 16. März 2007
Löschung

Im Morgengrauen, als die von Osten langsam aufsteigende Helligkeit ganz langsam begann die bis dahin undurchdringliche Dunkelheit aufzubrechen, legte ich alle meine Kleider ab, zog die Vorhänge auf, löschte die zu unförmigen Resten niedergebrannten Kerzen.

Regungslos am Fenster stehend erwartete ich den noch nachtkalten Wind vor dem neuen Tag. Meine Schultern brannten von meinem strengen Willen gegen ihren eigenen sinkenden Mut. Ich genoss diesen Schmerz genauso sehr wie jenen, den das nächtliche Zermahlen jeglichen Lautes in meinen Kieferknochen hinterlassen hat. Kälter noch als das aufziehende Grau am Rande des schwarzen Horizontes war nur mein Blick, welcher den Wechsel zwischen Tag und Nacht schweigend beobachtete.

Als ich sie kommen hörte, ihr leises Flüstern schwebte ihnen voraus, rührte ich mich nicht von der Stelle und suchte auch nicht danach, meine Blöße vor ihnen zu verbergen, denn ich schämte mich nicht meiner Nacktheit. Als man mir ein Laken um die Schultern zu legen versuchte, fasste ich nicht danach. Hilflos rutschte es von meinen Schultern und fiel zu Boden, bildete einen weißen Halbkreis aus Stoff um die Stelle, auf der ich stand.

Ich drehte mich herum, fort vom Fenster und dem heller werdenden Grau. Sie senkten die Köpfe, sahen mich nicht an, einer von ihnen wand sich hastig ab. Ich nickte stumm, als man mir deutete, ihnen zu folgen.

Ich spürte die Blicke der Unbeteiligten auf mir, vernahm irritierte Fragen, Verwirrung und auch Abscheu über meine wie in eitlem Stolz getragene nackte Haut. Ich ließ nicht zu, dass mich ihr unwissendes Urteil berührte und ihre empörte Scham blieb bei ihnen allein.

Ein antiseptischer Geruch hing über dem Stahltisch, von dessen steriler Oberfläche das grelle Licht zurückgeworfen wurde. Meine Hand wollte eine Abwehrbewegung machen, als sie den glatten Tisch mit einem grünen Tuch bedeckten, so gerne hätte ich meinen Körper widergespiegelt gewusst von dem kalten Metall, doch Arm und Schulter standen unter dem Bann meines aufrechten Willens. In stummen Bedauern ließ ich mich in den Kreis der unzähligen Lichter führen, trat an den Tisch, streckte mich lang darauf aus.

Ich zählte nicht die Injektionen, mit denen sie die Haut meiner Handrücken und Armbeugen zerstachen. Ich zählte nicht und sah niemanden an. Nach einer langen, sehr langen Zeit ließ die klappernde und klirrende Geschäftigkeit um mich herum nach. Dann war es still. Ein Gesicht beugte sich über mich. Blaßblaue Augen fixierten mich aufmerksam. „Bist du bereit?“, fragte der zu den blaßblauen Augen gehörende Mund. „Ja“, antwortete ich ruhig und leise, „ich bin bereit. Löscht mir die Augen und danach löscht mir den Kopf und dann, dann löscht mir das Herz.“