Sonntag, 25. März 2007


Sandsturm

Im Morgengrauen, als die von Osten aufsteigende Helligkeit ganz langsam begann die bis dahin undurchdringliche Dunkelheit aufzubrechen, blinzelte er in die staubige Umgebung. Am Horizont flimmerte die Luft und ließ in ihm die Vorstellung eines Ofeninneren wachsen. Wie lange lag er nun schon hier, regungslos und still, Freunde und auch Fremde um ihn herum? Es mussten Tage sein. Vielleicht eine Woche. Er hatte nach ein paar Nächten das Zählen aufgegeben und sich lieber ängstlich in die Erdkuhle geduckt. Um ihn herum war es heute still, nur in der weiten Ferne hörte es das dumpfe Schlagen der Gegner, das leise Zischen ihrer Waffen, irgendeiner brüllte Befehle, kurz darauf ein Knall, dann Stille.

Er tastete nach seinem Bein, um zu sehen, ob es noch dort war, wo er es vor ein paar Stunden noch zu spüren vermocht hatte. Das taube Gefühl war an seiner Wade entlanggekrochen, wie ein Parasit hatte es sich nach und nach seines kompletten Unterschenkel bemächtigt und hatte nicht aufgehört, auch den Rest zu erobern. Irgendwann war ein stechender Schmerz durch seine Nerven gezogen, kurz danach hatte er das Gefühl für sein Bein verloren. Seine Hand massierte die Wade, sie war immer noch an der Stelle wo sie zu sein hatte, aber sie war zu einem leblosen Klumpen Fleisch verkommen. Die Blutung hatte nachgelassen, immerhin. Er betrachtete seine Hände, die schwarz vom getrockneten Blut und dem Sand waren. Kleine Brandblasen hatten sich herausgebildet, zu lange hatte er den Rat der anderen nicht ernst genommen, sich die Handschuhe anzuziehen zum Schutz vor dem brennend heißen Sand. Jetzt war er schlauer.

Zu seiner Linken regte sich etwas. War es ein Freund oder hatte einer der anderen überlebt? Sein Herz schlug schneller, machte ihm das Atmen schwer. Er verlor sich in Gedanken an seine Frau. Er stellte sich vor, wie sie gerade aufstand und im Badezimmer ihr langes Haar zu bürsten begann. 40 Striche links, 40 rechts. Danach trug sie ihre Creme auf und tuschte ganz leicht ihre Wimpern. Sie hatte es nicht nötig, Make-up zu tragen, denn sie war wunderschön so wie sie war. Deshalb liebte er sie so sehr. Er liebte ihre Natürlichkeit und ihr Lachen, wenn sie ihren Kopf leicht nach hinten warf dabei. Er dachte an ihre Hüften, wie sie sich beim Tanzen an ihn schmiegten und er den Verstand verlor aus Liebe zu ihr. Wie gerne würde er jetzt bei ihr sein und gemeinsam mit ihr Frühstücken. Stattdessen lag er hier im gottverdammten heißen Sand, mit einem Bein, das er nicht mehr spürte und dieser hässlichen Wut im Bauch. Er war selber Schuld. Er hatte sich freiwillig gemeldet für diesen Höllentrip. Gierig auf eine gute Story hatte er alle Ängste und Zweifel beiseite gewischt und war den Soldaten in den Sand gefolgt. Jetzt waren sie allesamt tot und er hier. Allein. Im besten Fall. Falls die anderen nicht überlebt hatten.

Die Augen seines Gegenübers flimmerten wie der Horizont, nur aus Hass statt durch die aufkommende Hitze. Er hatte wunderschöne, tief braune Pupillen, man sah ihnen an, dass sie bereits sehr viel Leid und Grausamkeit gesehen hatten. Sie waren auch bereit, aus eigenen Stücken grausam zu sein. Es war Krieg, es gab keine Freunde, keine Trennlinie, die Gut und Böse unterscheiden ließ, keine Moral, wenn man selber überleben wollte. Er hatte zur Sicherheit eine Waffe bekommen. Als der Angriff auf sie gestartet worden war, hatte er nur einen Schuss abgegeben, in die Luft, zur Warnung. Er war kein Mörder. Er konnte nicht schießen. Hätte er es dennoch getan, wäre die Splittergranate nicht bei ihnen gelandet, sondern in den Händen ihres Werfers hochgegangen. Wäre es besser gewesen? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Wer konnte das schon sagen? War entschied hier über Richtig und Falsch? Wer setzte Regeln? Er nicht, dessen war er sich sicher.

„Tu es nicht“, flehte er sein Gegenüber mit den Augen an. „Lass sie liegen, renn fort, tu es nicht.“ Seine Kehle war trocken, verstaubt, er brachte schon länger keine Worte mehr heraus. Eindringlich ließ er seine Augen sprechen. „Tu es nicht.“ Immer wieder schrie er diese Worte aus seinen Pupillen heraus.
Sein Gegenüber verstand ihn. Er tat es dennoch.

Die Kugel traf den Körper oberhalb des Kehlkopfes. Sie durchpflügte die Haut und riss das Fleisch von den Muskeln. Ein leises Röcheln hing wie der feine Sandstaub in der Luft. Dann sackte der Getroffene zusammen. Eine Marionette, der man die Fäden kappte, dachte er sich. Eigentlich hatte er auf die Brust gezielt. Er war kein guter Schütze, wie auch. Er hatte nur eine Story gewollt, eine „von innen“, die einschlug wie eine Bombe. Würde er überleben und nach Hause kommen, er hatte sie sicher. Es würde eine Story über den Krieg und den Hass, der im Sand tobte. Es würde eine über ihn und seine Ängste. Er würde darüber schreiben, was er hier erlebt hatte und wie schwer es ihm gefallen war, sich zu verteidigen.

Dass er einen Jungen erschossen hatte, kaum älter als zwölf, in dessen Augen der Hass flimmerte wie die Luft am Horizont dort im Osten, wo die Helligkeit durch die Dunkelheit brach, würde er nicht schreiben.
Die Sonne begann ihn zu blenden. Es war wieder alles still. Selbst in der Ferne schien man eine Gedenkminute eingelegt zu haben. Über die Stille wollte er schreiben. Über diese quälende Stille, hier im gottverdammten heißen Sand.

Maerz 2007  ... link










Dem Frühlingserwachen

zum Trotze, mag ich daran erinnern, dass hier noch Platz für Märzenstories ist. Wer also entweder ein Vampir ist und das Sonnenlicht scheut oder eine gute Ausrede braucht, warum er nicht mit Omma und Oppa durch die Grünanlagen flanieren kann, wer an Schlaflosigkeit leidet oder morgen irgendwie seine Zeit im Büro rumkriegen muss, dem stehen die Märztore noch bis morgen Abend, ca. 21.00 Uhr offen.

Also ich finde es ja arg windig da draußen, da kann man sich ganz schön einen Schnupfen holen. :)))

Zwischenruf  ... link