Die Schatten wandeln, biegen sich, spreizen sich, lassen Lichtkleckse auf sich regnen. Lichtpfützen entstehen. Lange saß Monsieur Trefault in seinem ausgeblichenen Ferienstreifensonnenliegestuhl. Seine dunklen, kleinen Augen liegen unter dem Schatten der Hutkrempe und er erklärt Nino als erstes den Lauf des Lichts und den Folgen des Schattens. Nino wünschte sich später immer, er hätte sich Notizen gemacht. Nicht einen Moment seines späteren Lebens erschien ihm voller, dass sagte er häufig. Da war der Monsieur längst tot, in einem fremden Land beerdigt. Ein Land dessen Namen nach Ambra duftete und heiße Verführung atmete.
Monsieur Trefault sprach exakt, sein Äußeres dementsprechend gepflegt, der Schnurbart gewachst, die Haare altmodisch pomadisiert. Nur die Finger zeugten von seinem nächtlichen Treiben. Dem rastlosen Schreiben. Er hatte Tintenflecken auf den Fingerkuppen und Hornhaut an der Seite des Mittelfingers kurz über dem polierten runden Fingernagel.
Wirklich nur die Finger verrieten ihn. Denn seine Augen waren wach, scharf, stechend, wie der Blick einer listigen, weisen Ratte. Und sein Griff war fest, ruhig. Seine Hand umfasst sicher den Gehstock, selbst wenn er saß. Und er saß viel an den Nachmittagen an seinem Platz diesen Sommer. Nicht weit entfernt von den zirpenden Grillen, die sich im hohen Gras um die Olivenhaine eingerichtet hatten.
Ohne den Blick von den Schattenfeldern zu nehmen, stellt er seine Frage. „Sag mir Junge, was siehst du?“
„Dasselbe wie immer. Sie haben mich doch gestern schon gefragt was ich sehe.“
„Nino, du besitzt doch Augen, du kannst nicht wirklich sehen, dass alles ist wie am Tag zuvor!“
Nino kniff die Augen zusammen und nahm die Terrasse nochmals in Augenschein. Die Terrasse, die schon seit seiner Geburt immer noch die gleiche Anzahl von Tontöpfen zierte. Er konnte keine Veränderung feststellen.
„Wirklich, alles ist so, wie ich es Ihnen schon gestern beschrieb Monsieur.“
Unter der Hutkrempe schnaufte Monsieur Trefault leise aber empört auf. „Wenn alles wie gestern sein sollte, wie sollte dann je eine Veränderung eintreten. Und wenn eines sicher ist, so ist es die Veränderung. Immer ist alles im Wandel.“
„Nein Monsieur, das stimmt nicht. Hier ändert sich nichts. Hier bleibt immer alles beim Alten. Der Papa, sagte das unlängst zum alten Pfarrer. Und der hätte doch bestimmt etwas dagegen gesagt, wenn dem nicht so wäre. Aber der Pfarrer hat nur genickt.“
Auch wenn er wusste, dass er sich nicht vor dem Monsieur aus der Stadt fürchten musste, so war er doch immer noch etwas atemlos, wenn er ihm widersprach. Auch wenn ihm der Herr mit den weißen Strähnen im Haar immer wieder dazu ermutigte.
Und er entspannte sich auch sofort, denn Monsieur Trefault ließ ein kleines Lachen aus seinem Gesichtsschatten erklingen, in das Licht der Mauer tanzend, auf dem Nino saß.
„Wenn immer alles beim Alten bleibt, wie kommt es dann, dass du wächst, dass euer vom Altergebeugten Pfarrer mal ebenso wie du auf geschundene Jungenknie hatte? Hm Junge, sage mir das doch mal? Und dann mache endlich die Augen auf und beschreibe mir was du siehst? Vielleicht stellst du dann fest, dass doch nicht alles beim Alten geblieben ist.
„Eine steinerne Terrasse“, setzte Nino an, genau, wie am Tage zuvor. „Die Steine sind grau, sandig, weil ich sie immer noch nicht gefegt habe, wie Mama mir aufgetragen hat.“
„Aha, wann hat sie es dir aufgetragen?“, hob Monsieur Trefault an, ohne den Blick von den leis schwankenden Schatten abzuwenden. Er hatte nur den Griff etwas angehoben, den Stock etwas aufrechter aufgestellt.
„Gestern Abend, vor dem Abendessen.“
„Da, eine Veränderung.“
Ein etwas krummer, aber elegant gehaltener Finger zeigte achtungsgebietend in die trockene Luft.
Nino schüttelte aber mit gerunzelter Stirn entschieden den Kopf. „Aber Monsieur Trefault, die Terrasse ist doch genauso staubig wie am Tage zuvor, da hat sich doch gar nichts verändert.“
Nino witterte den Betrug, so leicht war er nicht reinzulegen.
„Nana Nino“, der Monsieur ließ den Finger kurz scheltend seitwärts schwenkend, nur um ihn dann wieder entspannt zu den anderen Fingern auf die glatt lackierte Lehne zu legen. „Gestern konntest du mir noch nicht sagen, dass dieser Staub an sich längst fortgefegt hätte werden sollen, dass er sozusagen nur noch durch Trägheit hier liegt.“
Der Monsieur lächelte, so dass sich der feine Schnurrbart, wie die Lefzen einer Katze hoben wenn diese vor einem Schälchen Sahne zu sitzen kam.
„Aber es bleibt doch der gleiche Staub von gestern!“, entrüstete sich der Junge.
„Ach ja, spürst du etwa nicht die Ungeduld, diese Stimmung, dass etwas längst hätte erledigt werden müssen? Gestern war es weitaus ruhiger, die Schatten waren träger, die Zypressen wippten zarter und die Grillen und Salamander waren schläfriger. Sie wussten, dass der Mittag schlief, das kein Junge versuchte seine Arbeit zu verdrängen die wartete.“
Und ja, Nino spürte das alles. Sein Herz schlug schneller. Er wusste, dass sein Vater bald nach Hause vom Feld käme und dann seine Mutter ihm berichten würde, dass er noch nicht seine aufgetragenen Arbeiten erledigt hätte. Er konnte die fruchtige Tomatensauce riechen, die es heute zu den langen Nudeln geben würde, die sie auf den Ständern gestern zum Trocknen aufgestellt hatte. Ein Essen welches sie machte, wenn sie mit dem Kochen der Wäsche beschäftigt war. Dabei war immer genug Zeit um einen Blick aus dem kleinen Fenster der Waschküche zu werfen, welches genau den Hof freigab.
Unruhig rutschte er auf dem porösen Mauerwerk hin und her.
„Monsieur Trefault, können wir nach dem Essen weiter reden? Ich will dann lieber jetzt meine Arbeit erledigen.“ Nino sprang von der Mauer auf seine bloßen Füße. Der Monsieur lächelte und zog sich erstaunlich leichtfüßig mit Hilfe seines Stockes ebenfalls auf die Füße. Wie verwundert war Nino gewesen, als er die blitzblank polierten Schuhe des Sommergastes bestaunte. Seine waren selbst am Sonntag nicht so spiegelnd, dabei benutzte er sie im Sommer kaum.
„Gut gut, dann überlasse ich dir das Feld, mein Junge. Wir sehen uns zum Essen.“
Beim Fegen über die wankenden Schatten kam Nino ein Gedanke und auch viele Jahre später sollte er viel darüber nachdenken. Hatte sich wirklich die Terrasse verändert? War es nicht sein aufgeregtes Herz gewesen, welches die Zypressen vor Ungeduld erzittern, war es nicht seine Furcht gewesen, die ihm das Zirpen der Grillen lauter erschienen ließ?
Wie er es dreht und wendete, er kam nicht dahinter. Veränderte sich die Welt allein und ließ ihn aufmerken oder veränderte er schlicht sie?
Aufgewirbelter Staub legte sich auf seine nackten Füße und vertrieb die Schatten von den steinernen Bodenplatten.