Die Schatten wandeln nicht mehr durch das finstergrüne Denken des im Alltag erstarrten Gehirns, sie haben sich in dunkle Abseiten des Hirns zurückgezogen, frissten ihr klägliches Dasein in unbewusster Agonie, verbrauchen sich im mühsamen Torkeln durch gesperrte Areale eines Verstandes, der sich der Funktion verschrieben hat.
Als die Schatten noch lebendig waren, hatten sie sich an den Träumen satt gefressen, hatten sich im Wünschen eingerichtet und den kleinen Schmerz der Sehnsucht in das Denken gespült. Die Schatten hatten sich vermehrt, hatten sich an den Träumen gemästet, waren gierig geworden, wollten den Tag wie die Nacht beherrschen und überspülten den Verstand mit dem nicht mehr ganz so süßen Gift des unerfüllten Verlangens, das sich im Dunkeln so trefflich vermehrt und die Gefühle in einen treibsandartigen Sumpf verwandelt. Im Sumpf gediehen viele neue Blüten, die betörende Düfte ausströmten, das Wollen evozierten und die ungeheure Sucht nach sinnlichen Erfahrungen aus dem Boden stampften. Da stand die Sucht, bebend vor Verlangen, gewaltig in ihren Ausmaßen, unüberspürbar in ihrem Drängen und hatte den kleinen Körper in haltlosen Rausch treiben wollen, hatte nicht eher nachgelassen, bis alle Fasern dieses zarten, aber kraftvollen Körpers vibrierten und sich in einer großen Explosion verbrauchen wollten. Das Leben pulsierte in jeder Zelle wie ein brandendes Meer bei Sturmflut, das Blut zischte kochender Lava gleich durch die viel zu engen Arterien und alles Atmen ließ die Luft wirbelnd durch die Lungen schießen. Das Sehnen war zum Brand geworden, die Schatten wurden Feuergeister, ach was, Feuerteufel , die das Denken in lodernde Flammen aufgehen ließen. Selten hatten sie sich so lebendig gefühlt.
Ein bebender Körper, angefüllt mit spürbarem Wollen, einem Verlangen, das sich wie eine mächtige Aura um die Erscheinung legte und die Anwesenden in den Bann schlug. Niemand konnte sich der Lebendigkeit dieses Wesens entziehen, die einen waren fasziniert, andere erschreckt und einige verunsichert. Doch viele reagierten mit Ablehnung, Entsetzen, dieses brennende, nach außen gestoßene Leben, dieses verlangende Feuer und die physische Erscheinung eines Lust versprechenden Körpers hatte einfach keinen Platz in der wohlgeordneten Welt des funktionierenden Bürgers. Diese Sinnlichkeit war nachgerade unanständig und man konnte ihm nicht ins Auge sehen, ohne sich in den wildesten Träumen aus der Ursuppe des Lebens wiederzufinden. Man konnte sich ihm einfach nicht entziehen, es war so unschuldig in der so tief empfundenen Sehnsucht nach dem sinnlichen Erdbeben, dass es völlig unverstellt und offen auf die Menschen reagierte. Doch schon das Lachen, diese tiefglucksende, aus dem innersten aufsteigende Lachen, das wie Rinnsal leicht temperierten Öls über das Rückgrat lief, rief eine wohlige Gänsehaut hervor. Man hätte sich in das Lachen legen wollen, hätte ihm folgen und die Quelle des Lachens erobern wollen. Das Strahlen der Augen, der samtige Geruch der Haut, die einfach danach schrie berührt zu werden und das Sehnen in allen Gemütern zur mächtig-nächtlichen Gewalt aufstachelte, waren fast mehr als man ertragen konnte. Man wollte sich diesem Wesen anverwandeln, wollte in ihm versinken, in ihm ertrinken, an ihm verbrennen und wenn es das letzte war, was man tat.
Doch es konnte nicht hingenommen werden. Dieser Körper, der soviel wunschbrennende Lust verströmte, dieser gierige Geist, der sich so ungeniert in ekstatischem Sprühen verbreitete, musste gebändigt werden. Soviel Lebenslust und –gier musste verstörend und abstoßend wirken und das wurde dem Wesen auf schonungslose Art deutlich gemacht. Er lernte, an sich selbst zu leiden und dann hatte man es so weit, dass es selbst um die Erlösung von der fordernden Sinnlichkeit bat. Man heilte es von all seinem Sehnen.
Nein, die Schatten wandeln nicht mehr. Sie ruhen im Stupor in ihren engen Gefängissen und starren müde vor sich hin. Aus den Schattenmündern rinnt gelegentlich ein wenig graues Blut. Wenn es auf den Boden tropft, sieht man ein paar kleine Spritzer, die schnell vertrocknen, aber für einen Moment ist er wieder da, der samtigheiße Duft der Sinnlichkeit und für eine Sekunde ist das Glitzern in den Augen noch zu sehen, bevor das Alltagsgrau das Licht der erstickten Augen bricht.