Sonntag, 25. Mai 2008


Schattentod

Die Schatten wandeln nicht mehr durch das finstergrüne Denken des im Alltag erstarrten Gehirns, sie haben sich in dunkle Abseiten des Hirns zurückgezogen, frissten ihr klägliches Dasein in unbewusster Agonie, verbrauchen sich im mühsamen Torkeln durch gesperrte Areale eines Verstandes, der sich der Funktion verschrieben hat.

Als die Schatten noch lebendig waren, hatten sie sich an den Träumen satt gefressen, hatten sich im Wünschen eingerichtet und den kleinen Schmerz der Sehnsucht in das Denken gespült. Die Schatten hatten sich vermehrt, hatten sich an den Träumen gemästet, waren gierig geworden, wollten den Tag wie die Nacht beherrschen und überspülten den Verstand mit dem nicht mehr ganz so süßen Gift des unerfüllten Verlangens, das sich im Dunkeln so trefflich vermehrt und die Gefühle in einen treibsandartigen Sumpf verwandelt. Im Sumpf gediehen viele neue Blüten, die betörende Düfte ausströmten, das Wollen evozierten und die ungeheure Sucht nach sinnlichen Erfahrungen aus dem Boden stampften. Da stand die Sucht, bebend vor Verlangen, gewaltig in ihren Ausmaßen, unüberspürbar in ihrem Drängen und hatte den kleinen Körper in haltlosen Rausch treiben wollen, hatte nicht eher nachgelassen, bis alle Fasern dieses zarten, aber kraftvollen Körpers vibrierten und sich in einer großen Explosion verbrauchen wollten. Das Leben pulsierte in jeder Zelle wie ein brandendes Meer bei Sturmflut, das Blut zischte kochender Lava gleich durch die viel zu engen Arterien und alles Atmen ließ die Luft wirbelnd durch die Lungen schießen. Das Sehnen war zum Brand geworden, die Schatten wurden Feuergeister, ach was, Feuerteufel , die das Denken in lodernde Flammen aufgehen ließen. Selten hatten sie sich so lebendig gefühlt.

Ein bebender Körper, angefüllt mit spürbarem Wollen, einem Verlangen, das sich wie eine mächtige Aura um die Erscheinung legte und die Anwesenden in den Bann schlug. Niemand konnte sich der Lebendigkeit dieses Wesens entziehen, die einen waren fasziniert, andere erschreckt und einige verunsichert. Doch viele reagierten mit Ablehnung, Entsetzen, dieses brennende, nach außen gestoßene Leben, dieses verlangende Feuer und die physische Erscheinung eines Lust versprechenden Körpers hatte einfach keinen Platz in der wohlgeordneten Welt des funktionierenden Bürgers. Diese Sinnlichkeit war nachgerade unanständig und man konnte ihm nicht ins Auge sehen, ohne sich in den wildesten Träumen aus der Ursuppe des Lebens wiederzufinden. Man konnte sich ihm einfach nicht entziehen, es war so unschuldig in der so tief empfundenen Sehnsucht nach dem sinnlichen Erdbeben, dass es völlig unverstellt und offen auf die Menschen reagierte. Doch schon das Lachen, diese tiefglucksende, aus dem innersten aufsteigende Lachen, das wie Rinnsal leicht temperierten Öls über das Rückgrat lief, rief eine wohlige Gänsehaut hervor. Man hätte sich in das Lachen legen wollen, hätte ihm folgen und die Quelle des Lachens erobern wollen. Das Strahlen der Augen, der samtige Geruch der Haut, die einfach danach schrie berührt zu werden und das Sehnen in allen Gemütern zur mächtig-nächtlichen Gewalt aufstachelte, waren fast mehr als man ertragen konnte. Man wollte sich diesem Wesen anverwandeln, wollte in ihm versinken, in ihm ertrinken, an ihm verbrennen und wenn es das letzte war, was man tat.

Doch es konnte nicht hingenommen werden. Dieser Körper, der soviel wunschbrennende Lust verströmte, dieser gierige Geist, der sich so ungeniert in ekstatischem Sprühen verbreitete, musste gebändigt werden. Soviel Lebenslust und –gier musste verstörend und abstoßend wirken und das wurde dem Wesen auf schonungslose Art deutlich gemacht. Er lernte, an sich selbst zu leiden und dann hatte man es so weit, dass es selbst um die Erlösung von der fordernden Sinnlichkeit bat. Man heilte es von all seinem Sehnen.

Nein, die Schatten wandeln nicht mehr. Sie ruhen im Stupor in ihren engen Gefängissen und starren müde vor sich hin. Aus den Schattenmündern rinnt gelegentlich ein wenig graues Blut. Wenn es auf den Boden tropft, sieht man ein paar kleine Spritzer, die schnell vertrocknen, aber für einen Moment ist er wieder da, der samtigheiße Duft der Sinnlichkeit und für eine Sekunde ist das Glitzern in den Augen noch zu sehen, bevor das Alltagsgrau das Licht der erstickten Augen bricht.

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Sonntag, 18. Mai 2008


Reden

"Ich weiss nicht, was ich dazu sagen soll."
Ohne ihn anzusehen, stellte sie den sauberen Teller in das Abtropfgestell und griff nach dem nächsten. Scheinbar vertieft drehte sie mit dem Geschirrschwamm ihre Runden.

Unschlüssig, verlegen fast stand er mit dem zerknüllten Geschirrtuch zwischen den Händen und drehte es wie einen Ball. Um die Illusion perfekt zu machen, deuteten seine zuckenden Füsse ein Dribbeln an. In der Halle, so wusste er, würde er den Ball jetzt sauber in den Korb setzen. Alles an ihm, einschliesslich seiner Zunge, die mit steigender Geschwindigkeit die Oberlippe leckte, war nun Spannung.
So einfach war das für sie und selbstverständlich gelogen. Es
g a b nichts, wozu sie nichts zu sagen hatte. Sie konnte reden bis ihm der Kopf schmerzte, morgens vom Aufstehen bis abends zum Einschlafen.

Sie beobachtete ihn aus dem Augenwinkel.
Als ob er gleich in die Hosen macht. Soll er doch etwas sagen. Kämpfen, die richtigen Argumente bringen. Sie überzeugen. Aber nein: Steht da, zappelnd wie ein Hosenpisser! Wie denn, glaubte er, soll man mit so einem eine solche Sache durchziehen?
Dabei liesse sie sich nur zu gern überzeugen. Aber nicht sofort. Dazu war das zu gross, dauerte zu lange, erforderte zu viel Beharrlichkeit, als dass man gleich beim ersten Andeuten zustimmen könnte.

Warum überhaupt stellte sie sich so an? Er wusste doch, dass sie es wollte. Alles schien in Ordnung.
Die Geschirrtuchkugel sass perfekt in seiner Hand. Er presste sie so stark zusammen, dass die Adern bis zum Unterarm hervortraten. Die Kugel in das Becken werfen, sie aufwecken aus ihrer Lethargie. Er hob die Hand, entspannte sich jedoch im letzten Moment, liess das Tuch auf den Stuhl fallen, drehte sich um, ging aus der Küche.

"Siehst du!", rief sie ihm im Gedanken höhnisch hinterher. "Wie kann ich wissen, dass du nicht gleich beim ersten Problem genauso davonläufst?" Eine einzelne Träne tropfte ins Abwaschwasser. Sie hätte es so sehr gewollt. Aber wahrscheinlich würde er nie wieder darüber sprechen.

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Donnerstag, 15. Mai 2008


Genozid im Schlafzimmer

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll...
Nichts ahnend saß ich auf der Bettkante und starrte in den Fernseher, als ich sie erblickte. Sie durchquerte majestätisch schreitend das Zimmer, obwohl sie es hätte schneller haben können. Sie war eine Königin, wie ich noch nie eine gesehen hatte. Ihrem Stand entsprechend schien sie mich zunächst zu ignorieren, war sie doch auf ihrer Suche nach einem warmen Hort durchaus nicht auf mich angewiesen.

Irgendwann schien sie mich zu bemerken und sich durch mich unsicher zu fühlen. Drohend kam sie auf mich zu, unwissend, dass meine überlegene Körperkraft ihre Wendigkeit mehr als ausgleichen würde.

Ich erschlug sie und sie ging stumm zu Boden. Ich betrachtete sie eine Weile bis mir bewusst wurde, dass ich den Tod, bzw. das Nicht-Entstehen eines ganzen Volkes zu verantworten hatte.

Schulterzuckend wickelte ich die tote Hornisse in ein Papiertuch und spülte es die Toilette herunter...

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