Mittwoch, 3. September 2008


Ich bin.

„Kannst du mir mal die Schultern massieren, Wladi, fragte George mit einem zärtlichen Blick, ...“ weiter kommen sie nicht. Laut prustend beugen sich beide nach vorne, verschwinden in die Hocke, schlagen sich auf die Schenkel und Gerd kippt dabei nach hinten auf den Hosenboden. Dann bricht es laut aus Gerd und Harald heraus. Sie lachen schallend und suchen aneinander Halt. Gerd kippt vollends um. Im Zuschauerraum giffeln zwei Schneiderinnen, aber der Blick eines vollkommen im schwarz gekleideten Mannes zwei Stuhlreihen weiter vor ihnen lässt sie sofort verstummen. Dann dreht der Mann sich wieder der Bühne zu. Er wartet.

Harald wischt sich die Tränen aus dem Augenwinkel und versucht Gerd wieder auf die Beine zu bringen. Leicht schwankend stehen beide im Licht der Probenscheinwerfer auf der ansonsten leeren Bühne und blicken entschuldigend in die Finsternis, dort wo sie den schwarzen Mann vermuten. „Wir versuchen das gleich noch mal“ ruft Harald fröhlich in die Stuhlreihen und die Schneiderinnen kichern dazu wie die Backfische. Gerd prustete in seine Linke, während er mit seiner Rechten im Kostüm nach einem Taschentuch sucht.

„Nein!“ Alle vier verstummen. Die beiden auf der Bühne blinzeln in den dunklen Raum hinein. Der schwarze Mann hat sich erhoben. „Nein, sie werden das nicht noch mal versuchen.“ Er drückt sich vor den Schneiderinnen vorbei in den Gang, geht nach vorne an die Bühne, und über eine kleine beweglich Treppe nach oben. Dann steht er neben Gerd und Harald. „Wladi, was denken Sie tun sie hier?“

Gerd richtet sich auf. Es ist vollkommen still im Raum. Dann spricht Gerd: „Ich bin der König, ein Despot und legitimierter Diktator einer Weltmacht, die wie ein Phönix aus der Asche sich der Sonne empor reckt.“ Gerd streckt sich ein wenig. Seine Glatze schimmert unter dem Probenscheinwerfer. Er versucht das richtige Quäntchen Dramatik in seine Stimme zu legen. Nicht zu viel, als das es übertrieben wirke, nicht zu wenig, um den Worten nicht ihre Bedeutung zu nehmen. „Und was ich hier tue ist so geheimnisvoll wie offensichtlich: Ich nehme meine durch Geburt gesicherten Rechte in Anspruch. Ich bin es, der den Tiger füttert und aufzieht, um ihn dann zu erledigen. Ich bin es, der prosperiert um dann zu holen, was immer schon mein war.“ Gerd zögert eine Spur zu lange. Seine Stimme wackelt ein wenig, und seine Hand, auf Harald weisend, zittert leicht. Ein Lächeln huscht durch das Gesicht der finstren Gestalt. Sein Blick folgt Gerds Hand, trifft auf Haralds Augen, und deutet stumm an, dass er nun an der Reihe sei.

„Ich bin der Gefallene. Licht des Morgens, strahlend und betörend. Ich bin die Kraft und der Wille. Ich habe mich aufgerichtet auf den Rücken derer, die glaubten und suchten. Habe ihr Mark genommen und sie damit geblendet. Habe ihren Glauben genommen um daraus meinen eigenen Altar zu bauen. Ich bin ihr Kriegsgott, den sie verehren und fürchten. Ich bin es, der sie verriet, und nach dem sie verlangen. Doch bin ich gestürzt, gefallen aus den hohen Sphären. Mein Licht verblasst, meine Tage werden gezählt von denen, die es mir gleich tun wollen. Doch meinen weiteren Weg kann ich in der Finsternis finden die sich um mich ausbreitet, den dort, wo ich geboren, war kein Licht und mein Herr weist es von sich.“

Harald steht nun neben Gerd, den Kopf gesenkt, die Arme hängen herunter. Nur noch leise spricht er weiter. „Der, der mir folgt, wird mein Gift spüren müssen, das ich überall verteilt. Die, die mich genährt, werden Qualen erleiden. Am Ende wird nur noch bleiben, was schon immer da war und was seit jeher vergänglich ist. Ich habe ihnen gegeben, wonach sie alle verlangten; Sand, um es zwischen den Fingern verrinnen zu lassen. Den Hauch, der sich verflüchtigt im Wind. Tand, der ihnen die Augen verdirbt.“ Harald hebt den Kopf. Die Rechte hatte er jetzt hinter den Gürtel eingehakt. Er blickt direkt in die schwarze Tiefe des Zuschauerraums. „Aber ich werde ein Sinnbild sein. Ich werde die Zukunft sein. Ich bin es, der den Weg markiert hat, dem alle nachfolgen, schon seit vielen Jahrhunderten und in noch mehr Jahrtausenden.“

Der Mitarbeiter am Lichtpult im Regieraum, hoch über der Loge, hat für diese Stelle die Anweisung im Skript stehen, das Licht auf Szene 23 umzuschalten. Einzig eine kleine matte Lampe sollte fahl gelb den Hintergrund der ansonsten vollkommen leeren und schwarzen Bühne beleuchten, so dass Gerd und Harald nur noch im Umriss erkennbar sind. Doch der Beleuchter gafft mit offenem Mund herunter auf die drei Personen.

Der Mann in schwarz verlässt die Bühne wieder. Eine Schneiderin stößt ihre Kollegin an und zeigt auf den sanften Rauchschleier, der um seine Schuhe hervortritt. Es war eine Spur zu warm im Saal. Harald grient, dann flüstert er: „Was ist jetzt mit meiner Schulter, Wladi?“

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