Freitag, 11. Januar 2008


Das kleinste Übel war der Pirouetten-Schmerz im Kopf, den konnte man betäuben. Erinnerungen nicht, die nicht.

"Doch angesichts dieses gefallenen Vogels ahnte ich bloß, dass ein leichter Windzug enorme Kräfte entwickeln kann", stellte Brandy Alexander schokoladensüß neben mir fest.
Ich nickte nur, leckte an ihm mit meiner Zunge, was die anderen in der Bar durchaus wahrnahmen. Ich prostete John Lennon zu und zog Brandy Alexander noch ein Stück näher zu mir. Obsessionen teile ich nicht, erst recht nicht mit Leuten die tot sind, total tot. Ich bin neidisch auf Menschen die schlafen.
Die muskatnussfarbenen Sommersprossen strahlten wie Sterne, als Brandy Alexander langsam sich vor mir zu drehen begann und sang, er sang schön, weich. Weich im Abgang, ganz ohne Schärfe. Er sang: „Tod ist ein langer Schlaf, Schlaf ist ein kurzer, kurzer Tod…“
Ganz klar, seine Stimme berauschte mich. Ich hielt mich am Tresen fest. Ich hielt mich am Tresen fest, fest mit meinen Fingern, deren Nägel ich heute, am frühen Abend, die Sonne schien noch, lackiert hatte. Ich musste nur einen Finger nach lackieren. Ich lächelte dem Barkeeper zu. Er stellte mir eine frische Schüssel mit Erdnüssen hin. Oh, er hatte meine Nägel bemerkt, auch ihm gefiel die Farbe.
„Sicher, die Farbe steht dir außerordentlich, würde Princess Mary sicherlich nicht stehen. Glaube mir. Ich habe sie kennen gelernt, sie trug weiß. Ich hatte noch keine Sommersprossen“, er seufzte. Und begann wieder von seiner wahren Leidenschaft zu berichten. Der theoretischen Physik im praktischen Gebrauch.
„Alles begann damit, dass der Vogel in einem doch recht unauffälligen Winkel fiel, also nachdem er gegen das Fenster flog. Ja, damals gab es noch nicht diese hässlichen Raubvögelaufkleber. Ich bin mir ganz sicher, dass die auch daran schuld sind, dass die Moderne Architektur heute einfach nur noch widerlich aussieht!“
Er hatte diese bestimmte Art, Schärfe in seinen sahnigen Worten zu transportieren. Manchmal vergaß er meinen Namen, es lag an mir. Es lag schon immer an mir. Aber anders als Honybee durfte ich ihn immer schmecken, ihn immer mit der Zunge streicheln. Immer.
Immer wieder rutschte mir einer der Träger von der Schulter.
Ich hasste jetzt schon das Morgen, das Morgen an dem mir klar wurde, dass ich nicht alles behalten konnte von dem was mir Brandy Alexander erzählte hatte. Dass es mir peinlich sein würde, weil ich mich nachher noch zu Lennon beugen würde, ihm über den Arm streicheln würde und ihm sagen würde, dass mir das alles so leid tat, das alles, was man mit einem fahrigen Armschlag umreißen kann. Eben genau das.
„Höre mir doch zu!“
Gehorchend fixierte ich ihn wieder.
„Was ist schon ein Vogel ohne das Wohin zum Fliegen?“
„Bist du sicher, dass das Physik ist?“

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