Donnerstag, 19. Juli 2007


Juri

Man hatte schon wieder Ratten im Soufflé gefunden. Auf Juri war nun wirklich kein Verlass. Und irgendwann wird das ein schlimmes Ende nehmen. Saufen, ja, das konnte er wie kein Zweiter, machte seiner Herkunft alle Ehre, aber Ordnung in der Küche halten, nein, das war nicht sein Ding. Lieber saß er im Pausenraum, rauchte selbstgedrehte Zigaretten und sang dabei leise alte russische Volkslieder vor sich hin. Juri erfüllte jedes Klischee, das man von einem Russen haben kann. Saufen, Rauchen, alte russische Volkslieder, voll gnadenloser Melancholie, die jedem noch so hartgesottenen die Tränen in die Augen schießen lässt, und natürlich Frauen. Das war sein Leben. Ordnung in der Küche halten? Nein, wozu denn auch? Sollten die ihren Mist doch selbst wegräumen, er hatte immer etwas besseres zu tun. Saufen, Rauchen und dann die Frauen. Die russischen Frauen seien die schönsten des Universums, behauptete er immer. Und während sich in der Küche Essensreste und Küchenabfälle auf dem Boden sammelten, bald kleine schwarze Käfer dazwischen hin und her huschten und später ein dicke Kakerlaken, vergnügte sich Juri mit Natalja oder Marina oder Katja im alten Lagerraum. Die Köche werden sich schon um den Dreck kümmern, sagte er sich, oder die Küchenjungen oder die Kellner oder der Chef, irgendwann wird es sie stören, dann nehmen sie sich die Zeit, es gab wichtigeres. Leben.

Irgendwann schrie eine ältere Dame im Restaurant hysterisch auf, Juri war gerade wieder im Pausenraum und rauchte. Sie war kaum zu beruhigen, schreiend rannte sie nach draußen, ihr Mann brüllte den Oberkellner an, erzählte etwas von Ordnungsamt und Gesundheitsamt und einer Ratte im Soufflé. So konnte das nicht weitergehen. Der Chef sprach Juri ins Gewissen. Sie setzten sich zusammen, Juri hörte ihm zu, andächtig, er rauchte dabei und blieb ruhig, auch als der Chef ihn anbrüllte, tobte und schrie, irgendwann holte Juri eine Flasche Wodka aus seinem Spind und dann tranken sie. Juri konnte das, er konnte Leute um den Finger wickeln, mit seiner ruhigen Art, niemals sah man ihn wütend, selbst bei dickster Luft blieb er ruhig, konnte noch lächeln und immer hatte er eine Flasche Wodka im Schrank. Seine Friedenspfeife, wie er immer sagte. Chef, sagte er, du hast doch recht, ich werde mich darum kümmern. Die ganze Nacht putzte er die Küche, bis sie kaum wieder zu erkennen war, keine Essensreste, keine Küchenabfälle, die Küche blitzte und die Leute vom Gesundheitsamt, die am Morgen vor der Tür standen, staunten und gingen wieder. Eine Ratte im Soufflé? Purer Zufall.

Und nun hatte man schon wieder Ratten im Soufflé gefunden. Nein, auf Juri war wirklich kein Verlass, mit stoischer Ruhe hatte er sich wieder den Zigaretten, dem Wodka und den Frauen zugewandt, in der Küche stapelten sich wieder Essensreste und Küchenabfälle, die keiner beseitigte. Juri macht das schon, sagten sich alle. Er tat es nicht. Kleine schwarze Käfer, Kakerlaken, irgendwann Mäuse und jetzt Ratten im Soufflé. Doch diesmal traf es keine ältere Dame, die hysterisch das Restaurant verließ, es gab auch keinen Mann dazu, der mit dem Ordnungsamt und dem Gesundheitsamt drohen konnte, diesmal traf es Oleg Bosinsky, einen vierschrötigen Typen aus Moskau, ständig umgeben von mehreren durchtrainierten Männern in dunklen Maßanzügen und ausgebeulten Jackets. Jetzt hatte es also Oleg Bosinsky getroffen, der sich im Restaurant mit einigen dunklen Geschäftspartner aus St. Petersburg traf, Geschäftspartner, die alle so aussahen wie er und die alle offensichtlich keinen Spaß verstanden. Ratten im Soufflé? Nein, das war gar nicht gut, diesmal konnte es nicht gut ausgehen.

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