Mittwoch, 26. November 2008


Ich hasse meinen Vater

"Revolution! Revolution!", rief der kleine Hans, während er die Karotte über seinem Kopf schwenkte und lachte. Er war auf eine der Barrikaden geklettert die aus allerlei Gerümpel zusammengetragen worden waren. Ich selber biss auch von einer Karotte ab, mir war es egal dass kurz zuvor einer der Leute auf der Gegenseite uns mit dem Bund Suppengrün hatte treffen wollen.
Ich fluchte, wiederholt in den letzten Tagen. Vor drei Tagen wollte ich eigentlich nur mit meinem Vater einen Ausflug in die Stadt machen, er hatte mir für die ganzen Jahre seiner Abwesenheit eine Stereoanlage versprochen. Skeptisch war ich mitgegangen, denn ich konnte mir diesen versöhnlichen Ton nicht erklären, schließlich war der kleine Hans kein normaler Vater, sondern ein Pilgerer zu allen Orten der Revolution… na ja, die kapitalistische Revolution hatte er bisher ausgelassen. Also ging ich immer einen halben Schritt hinter ihm her, behielt im Blick und ließ mich von seiner lockeren Art und dem warmen Baritonlachen nicht einwickeln, welches er mir gegenüber anschlug als wir auf der Einkaufsmeile der Stadt zuhielten. Ich wusste die ganze Zeit, dass das eine Falle gewesen sein musste. Ich hätte zu Hause bleiben sollen, ich könnte jetzt auf meinem Sofa vor dem Fernseher sitzen und meinem Vater dabei zusehen wie er mal wieder auf idiotische Weise versuchte die Welt zu retten!
Ich fluchte gotteslästerlich. Der kleine Hans lachte nur, gegen Blasphemie hatte er nie etwas gehabt, vielmehr gegen meine Reebok-Shirts und meine Vorliebe für Cocacola. Tja, er konnte sich seinen Sohn nicht aussuchen und ich leider auch nicht meinen Vater.
Mal ehrlich, wenn man Fahrstuhlmusik hören muss um einen Generationskonflikt auslösen zu müssen, dann bringt das Rebellieren gegen die Eltern auch keinen Spaß.
Etwa 100 Meter entfernt fuhren gerade die Einsatzkräfte mit Panzerwagen vor, die Panzerwagen, die noch intakt waren. Es ist unglaublich wie gut mein Vater, der kleine Hans und seine Kumpanen sich im Sabotieren ausgebildet hatten. Mit den einfachsten Mitteln legten sie die Dinger lahm, wobei sie neben dieser Effizienz immer noch am liebsten mit altem Gemüse und Obst warfen.
Seit drei Tagen saß ich hier also fest, hatte ein blaues Auge, auf das der kleine Hans natürlich ganz stolz war, denn er hielt das für so was wie meine Äquatortaufe, das miese Arschloch, und zu guter Letzt war es saukalt und die Feuer, die die Althippies für ihre alternativen Garküchen innerhalb der Barrikaden errichtet hatten reichten in der Winterzeit eindeutig nicht aus um mich zu wärmen. Und warum zum Teufel essen Revoluzzer so gerne Erbsensuppe? Natürlich mit einem Hauch Estragon und nur mit Sojawürstchen…
Drei verdammte Tage, wahrscheinlich hatte mich mein Meister längst im Fernsehen unter diesen Spinnern erkannt und meine Lehrstelle einem anderen gegeben.
Es ist unglaublich, dass diese Deppen um mich herum tatsächlich gerade von ihren Bäumen aus dem Regenwald geklettert waren, aus Wassertümpel krochen in denen sie Geburtshelfer für fast ausgestorbenen Schlangen spielten und irgendwo von wohlklingenden asiatischen Ländern angereist waren in denen sie noch immer den Kommunismus unterstützten, nur um das Weihnachtsgeschäft in Deutschland zu stürzen und als kapitalistisches Teufelswerk zu entlarven.
Und mein Vater dachte sich, dass er mal etwas mit seinem Sohn zusammen machen sollte. Mist, andere Väter bauten Modellflugzeuge mit ihren Söhnen an Wochenenden, warum nicht so meiner?
Ich duckte mich, als von drüben wieder altes Obst rüber geflogen kam. Leider hatte nämlich an Tag 1 die Deppen die ganze Innenstadt so effektiv lahm gelegt, dass ihnen langweilig geworden war, weshalb sie sich am Abend schon anfingen über ihre Manifest zu streiten, um sich schließlich am Tag 2 so zu zerstreiten, dass sie anfingen die Straßenschlacht gegeneinander auszutragen.
Der kleine Hans war nie glücklicher! Er lachte mir zu, während er gerade einen Mercedes zertrümmerte und ihn gleichzeitig in die Barrikade einbaute. Dabei quasselte er etwas von den Mapuche und ihren Initiationsriten und während er aus der Straße einen der Kopfsteinpflaster los machte um sie mit voller Wucht rüber zu werfen, stellte er fest, dass er mir auch einen schönen Initiationsritus geboten habe.
Abgesehen von meinen Fluchen sagte ich gar nichts mehr, ich war an sich sprachlos seit der Sekunde, als er mir eines mit einem Knüppel übergezogen hatte und einer seiner Freunde mit einem Megaphon in der vollen Einkaufsstraße die Weihnachtsrevolution proklamierte.
Ich glaube nicht, dass Generationskonflikt für meinen Hass als Begrifflichkeit ausreichen würde. Vor allem nicht in der Sekunde, als die berittenen Garden anfingen uns zu stürmen.

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Samstag, 8. November 2008


Revolution

"Revolution! Revolution!", rief der kleine Hans, während er die Karotte über seinem Kopf schwenkte und lachte.
Er hatte wieder seine Tabletten ausgespuckt, heimlich, der Schelm, und natürlich gingen jetzt sämtlichen Pferde mit ihm durch.
Er war schon ganz rot angelaufen, und die Karotte, ja, die sollte er eigentlich essen. Ich krallte mich an meinem Stuhl fest und gab mir alle Mühe, ihn zu ignorieren. Ich implizierte mir selbst ein „es geht mir gut!“ und überlegte, wo ich meinen geheimen Ort der Ruhe liegen gelassen hatte.
Es war so laut um mich herum, so laut, so laut.
Hinter dem kleinen Hans (kein Kind, nein, ein kleinwüchsiger Irrer mit wirren Bartstoppeln) kniete eine Frau und wusch ihre imaginäre Wäsche in ihrem imaginären Bach und sang „Heidi“ in ihrer ganz persönlichen Fassung. Hinter mir standen zwei Opis beim Pingpong. Keiner traf den Ball, aber sie beschimpften sich lauthals und ordinär, und sie schienen damit ganz zufrieden zu sein. Es war jedes Mal dasselbe: Nach ein paar Minuten waren sie sich des Ball Aufhebens zu schade und begnügten sich damit, auf die Platte gelehnt und sabbernd ihre Kraftausdrücke hin und her zu pfeffern.
Und ich? Ich suchte den Ort der Ruhe. Seit Jahren, wohlgemerkt.
Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, aber das macht nichts. Nur Krach. Ach.
Der kleine Hans schwenkte weiter die Karotte, die etwas kürzer geworden war, weil Turbo Tina, die Ex-Nutte aus Kambodscha, eben durch den Raum gesaust und quasi im Vorbeiflug ein Stück abgebissen hatte. Ja, sie war schnell, und ja, sie war gut mit dem Mund.
Der kleine Hans schwenkte also seine kürzer gewordene Karotte und kam mit seinem roten Kopf bedrohlich nah in meine Richtung. Er stank aus dem Mund, und ohne Drogen war er durch und durch unberechenbar.
„Revolutiooon!“ flüsterte er in mein Ohr - so weit war er herangekommen. Ich krallte mich fest, an meinen Stuhl.
Oh Ruhe, wo bist du?
„Revoluuuution!“ wisperte er melodisch weiter.
„Ja was denn?“ platzte es aus mir heraus. „Wo denn?“ setzte ich hinzu. Sowie: „Na und?“
Er blickte mysteriös drein und lies sich nicht von mir beirren.
„Du bist nicht, nein, bist du nicht, du bist nicht neutral, bist du nicht.“
Hätte ich seine Ration Pillen, ich würde sie sofort schlucken.
Stille, komm zu mir!

Wenn sie kam, so war sie laut und klein und stank aus dem Mund:
„Drei Federn hat Olint! Möcht´ er mit dieser Alles schreiben! Huiiiii!“
Ach. Das war mir zu absurd, ehrlich. Meine Finger taten weh vom Festkrallen, und mir wurde etwas schwummrig. Wo waren meine imaginären Freunde - die könnten mich ablenken. Ach, die Drogen hatten sie verdrängt. Ach, ach.
„Du bist nicht Dreifedern, du bist Tiefer, Tiefer. Revolutiooon!“
Wenn mir einer so käme, dachte ich, als mir klar wurde, das mir einer so kam, jetzt gerade, hier.
Ach.

Plötzlich flackerte das Licht. Gestalten verschwammen, blitzten auf, verschwanden, flossen ineinander, Fraktale rasten umher, ein ungeheures Geräusch brüllte auf, ich schrie, und dann …

Dunkelheit.

Stille.

Mein Ort der Ruhe.

Heim.

Glückseligkeit.

Ich seufze. Nach und nach kommen Licht und Formen zurück.
Ich sehe mich um. Das Zimmer ist neu, ist anders. Die Anstalt ist verschwunden. Ich sitze auf einem Sessel aus feinem Leder, in einem Raum aus Wärme und Geborgenheit. Der Fernseher vor mir ist groß und läuft. Obama ist Präsident. Gut gebräunt. Soso. Traumfetzen huschen vor meinem inneren Auge umher, ich suche sie zu greifen. Schwerlich kommt ein Sinn zustande. Nur ein Wort habe ich mir gemerkt.
Revolution.

Es klopft. Mein Pfleger kommt herein, gibt mir meine Pillen.
„Na, wie geht es ihnen heute?“ fragt er fürsorglich und macht sich bereit, mich zu waschen.
„Huiii, Dreifedern bin ich, damit möcht´ ich schreiben.“ säusele ich sinnlos. Die Pillen wirken schnell.
„Ja, ja, is gut.“
„Mir ist so langweilig.“
„Ja, gute Frau, ich weiß, kann ich verstehen.“ Er tupft mir etwas Speichel vom Mundwinkel.
Die Waschung beginnt, dauert an, findet ihr Ende, der Pfleger verabschiedet sich und lässt mich allein zurück. Ich und mein Sessel und der Fernseher und immer noch Obama und meine Pillen.
Alt sein ist seltsam, denke ich, während ich nach der Fernbedienung greife und die Stille, die mich so schrecklich langweilt mit Schlagermusik zu vertreiben suche.
Irgendwer singt eine interessante Version von Heidi. Das ist gut. Ich greife nach der Tupperdose und angele mir eine Karotte. Die ist lecker. Ich denke an meine Familie. Mein verstorbener Ehemann, der kleine Mistkerl und seine Hure, Großvater und dessen Bruder, meine Mutter … ach, wie ich sie vermisse. Ach, wie froh ich bin, sie los zu sein. Ach.
Mit ihnen war es schwierig, aber, ja, ohne sie ist es noch viel schwieriger.
Feststellung: Wir alle scheinen Insassen einer globalen Heil- und Pflegeanstalt zu sein. Nie sind wir zufrieden, immer am nörgeln, kein Weg scheint der Richtige zu sein. An die Regeln halten? Ha! Scheiße. Hätte ich nur öfters getan, was ich wirklich tun wollte, denke ich, an meinem Sessel festgeklebt, als alte, schwache Frau. Wozu es anderen Recht machen wollen? Damit man sich später ärgert, weil man unzufrieden ist! Ach, ach. Selbst mein Mann hat es besser gemacht, mit dieser Nutte. Immerhin hatte er Spaß. Ich mache ihm keinen Vorwurf. Mir mache ich Einen. Ich hätte ihm den Hals brechen sollen, dem Mistkerl. Ja. Tja.

Ich knabbere an meiner Karotte und überlege, was ich jetzt noch revolutionäres machen könnte...

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Donnerstag, 6. November 2008


Happy End

"Revolution! Revolution!", rief der kleine Hans, während er die Karotte über seinem Kopf schwenkte und lachte.

Natürlich hatte er da etwas sehr missverstanden. Schuld war sein grosser Bruder Klaus, der sich gerade in dieser bewussten Lebensphase befand, in der man gegen alles und jeden ... Nunja, Klaus hatte die orange Fibel des alten Führers Treibaus gelesen, heimlich natürlich, denn sein Vater hätte etwas dagegen gehabt, seinen Sohn bei solcherart Tun zu erwischen. Als Gemüsehändler war der schliesslich darauf angewiesen, dass alle bei ihm kauften. Jeder wusste ja, dass Revoluzzer, wie sie der Vater nannte, ein armes Pack waren und ihr Geld lieber für Fibeln als für Kohl ausgaben. Kurzum: Klaus, um seinen Bruder Hans zur Ruhe zu bringen, hatte diesen mit der vorhandenen eigenen Begeisterung in sein Geheimnis eingeweiht. Er konnte ja nicht ahnen, dass die eigentliche Botschaft ("Schnauze halten!") glattweg am kleinen Hänschen vorbei gleiten und damit das Schicksal erst recht seinen Lauf nehmen würde.

Das Schicksal ereilte zunächst Hänschen und später, nach den vom Kleinen schluchzend vorgebrachten Erklärungen, auch Klaus in Form der väterlichen Hand, die dank der täglichen harten Arbeit gut zuschlagen konnte. Klaus, der schon manchen Schlag aus ebendieser Hand empfangen hatte, war abgehärtet genug, hinter seinem Rücken dem kleinen Hans eine Faust zu zeigen, die auf spätere Abrechnung verwies. Das wiederum liess Hans erneut aufjaulen, weil er ahnte, was ihm bevorstand. Der Vater, durch dieses Gejaule an seine multiplen erzieherischen Pflichten erinnert, nutzte die freie Hand, um nochmals in Hansens Richtung zu witschen.

Wäre nicht die Mutter dazu gekommen, eine nicht minder beherzte Frau, hätte das wohl ewig so weiter gehen können. Denn der Vater war seeehr verärgert und zeigte auch noch keinerlei Anzeichen von Erschöpfung. Die Mutter jedoch rief mit ihrer harschen Altstimme:
" Ruhe! Aufhören!", und so zeigte sich, wer in Wahrheit die Hosen in der Familie an hatte.
Es fehlte nicht viel, dass auch Hansens und Klausens Vater die Hand an die Hosennaht gelegt und stramm gestanden hätte. Die beiden anderen, die wussten, dass auch die Mutter zwei nicht zu verachtende arbeitsharte Hände hatte, erstarrten sowieso. So glich alles Weitere manch früherer Situation. Während die Mutter die schändlich revolutionären Karotten ins tiefste Eck des Ladens hob, bellte sie ihre Befehle durch die Gegend. Jeder wusste, mit welchem Befehl er gemeint war, und alles zerstreute sich.

Nicht so die Zuschauer am Eingang des Ladens, die zunächst durch Hänschens Revolutionsruf und dann den Tumult im Laden aufgeschreckt worden waren. Die standen noch immer da, wie versteinert, als die Mutter in der Szenerie erschien, und zuckten kein Glied. Es schien, sie würden fürchten, bei der geringsten Bewegung ihrerseits unter den Einfluss dieses herrischen Weibes zu geraten, das da im Laden klar-Schiff machte.

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Abends im Bett, vor dem jeden Streit abzulegen man sich in der Kirche geschworen hatte, verkündete die Mutter mit nicht unzufriedenem Lächeln, dass man selten so einen umsatzstarken Tag wie diesen gehabt habe. Der Vater, dessen Respekt vor ihr nicht minder groß war als der der Kunden des heutigen Tages, die einfach fortzugehen sich nicht getraut hatten, brummelte Unverständliches, ehe er unvermittelt einschlief.

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