[Ich, der Dichter. Staubige Straße, 5 Verse Abstand]
Die Sonne, seht die Sonne.
Habe ich sie je "gesehen"? Erblinden tät ich, würde ich das Haupt erheben gen Himmel, gen gleißendem Licht. Seht die Sonne! Zusammengekniffene Lider künden von der Tatsache: sie ist. Sie strahlt. Sie erblendet:
farbenfroh am Himmelssaum. Farben? Schon Reflektionen, Brechungen, Erdspiegelungen an der Himmelsdecke. Welche Farbe hat die Sonne?
Seht die Sonne!
Östlich grüßt ihr Morgentraum. Kommt nicht von Osten Gedeih und Verderb? Gewürz und Gebet? Ihr Morgentrauma grüßt: Salemaleikum. Starker Kaffee dazu bitte. Zuckerlos.
Lächelnd kommt sie aufgestiegen. Morgenstund hat lächelnde Sonne im Mund. Die Morningshow am Himmel ersetzt den Flitzerblitzer, die Stauschau, das Beste der 80er und 90er. Da steigt sie auf, seht die Sonne! Leuchtender Urquell des Kapitalismus, nur wer aufsteigt, strahlt, sonnt, steht am Zenit und zählt die Dollars.
Aus der Fluten der Nacht [schon jetzt ein bleicher Seufzer:] ach wäre sie doch dort geblieben, Ikone der Mallorcaterror(tour)isten. Sonne in Fluten, seht die Sonne! Spielball der Wellen, ein Lichtpunkt am Horizont, Titanic dutzendfach versenkend, Liebende im Abendglühen, nachts winkt der Werwolf, sonnenlos.
Läßt von lichter Stirne fliegen - Komma, Strich, fertig ist das Sonnengesicht. 40 Grad bietet uns die Stirn, feucht angeklebt am klima(anlagen)losen ICE-Fenster [aufgrund einer Oberleitungsstörung bitten wir weiterhin um Geduld] wer da nicht eingecremt ist...
Strahlenlockenpracht. Es kam was kommen musste: die Dauerwellenfönsonne, Kim Wilde singt und sonnt vom Himmelszelt, ich sehne mich nach dunkler Antarktis, doch das Sonneneis knirscht in Lockenwicklermanier und bohrt sich eisbrecherisch beißend in meine Augen:
Tauben von Gurre! Sorge quält mich, vom Weg über die Insel her. Kaum vorwärtskriechend kralle ich meine Finger in den Sand und starre aufrechte, schwarze Palmenplacebos am Horizont an: Seht die Sonne!