Freitag, 8. August 2008
Lauschen

Das alte, verblichene Holz war noch warm. Die Wärme drang in jede ihrer Poren, nachdem sie aus dem Stand in den Schneidersitz hinab gesunken war, sich auf den Händen nach hinten gelehnt und am Ende ganz hingelegt hatte. Einen Moment lang schloss sie die Augen, atmete tief ein, fand Gefallen an der bildlosen Naturstille, liess die Augen zu. Atmete noch mehr, fühlte das Holz mit ihrem Körper verschmelzen. Und nun drangen auch die Geräusche zu ihr, die das Gehirn normalerweise ausblendet. Ein Vogel sang klagend, eine Grille zirpte, erhielt Antwort von einer anderen und noch einer. Gleich nebenan summte eine Biene.

Sie öffnete die Augen, sah einen Moment lang der Biene zu, wie sie mit ihrem Vorderteil in einer Blüte verschwand, während das plüschige Hinterteil erstaunlich grazil die Balance hielt. Am Himmel flog ein Schwalbenschwarm, tief, als könnte man ihn berühren. Sie hob ihre Hand, fast wie um es zu tun. Zwischen den gespreizten Fingern sah sie in den Himmel, an dem kein grelles Licht mehr war. Aus zunächst dünnen Wolkenschleiern hatten sich richtige Wolken formiert, weiß noch, aber schon kompakt. Am Rande des Himmels, da wo der Wind herkam, den sie mit geschlossenen Augen als angenehm empfunden hatte, dunkelten sie sich jedoch bereits ein.
Die Nase im immer stärker werdenden Wind schloss sie die Augen erneut. Die Beständigkeit im Rücken, schien es einfach, sich auf kommende Veränderungen einzulassen. Tief atmen. Zuhören. Die Grillen verstummt. Vögel, nicht mehr klagend, sondern im Flug, vielleicht noch mehr Schwalben. Sie zwang sich, nicht nachzusehen. Der Wind kühlte sie so sehr ab, dass sich die kleinen Härchen auf den Armen spürbar hoben, und sie fragte sich, wie lange wohl die wohlige Wärme im Rücken das Überhandnehmen der Kälte in ihrem Körper aufhalten könnte. In der Ferne meinte sie ein Donnergrollen zu hören, war sich aber nicht sicher. Lauschen, um Gewissheit zu erlangen. Und immer wieder tief atmen, Luft, die schon gewaschen schien. Ganz sicher regnete es dort, wo der Wind her kam, bereits. Ein angenehmes Gefühl zunehmender Wachheit breitete sich in ihr aus; die Augen geschlossen fühlte sie die Trägheit der Hitze des Tages von sich abfallen. Würde sie jetzt aufstehen, könnte sie sicherlich alles tun, was sie in diesen heissen Tagen zuvor versäumt hatte.

Aber warum aufstehen, warum auch nur die Augen öffnen? Alles war gut und richtig, ein Moment, der so bald nicht wieder kommen würde.
Sie wußte nicht, ob Stunden oder nur Minuten vergangen waren, als der erste Regentropfen auf sie fiel. Noch immer widerstand sie dem Wunsch, die Augen zu öffnen. Stattdessen lauschte sie nun der Musik auf ihrer Haut. Zuerst das Largo, dann das Moderato. Über das Allegro kam sie zum Presto. Wo sie vorher die Augen nicht öffnen wollte, konnte sie sie nun nicht mehr öffnen, so heftig und schnell fielen die Tropfen und wuschen ihr den Rest hitziger Müdigkeit aus den Augen. Sie öffnete den Mund, verschluckte sich, schlug nun doch die Augen auf.

Am Horizont ein Blitz, nach einer Weile fern grummelnder Donner. Kurze Zeit später weitere, in rascher Folge. Sie sass nun, die Knie mit den Ellenbogen umspannt und beobachtete mit staunendem Blick, wie sich das noch eben von ihrem Körper trocken gehaltene Holz mit Wasser voll sog, fühlte, wie der Regen ihren Rücken ganz hinab rann. Kein trockener Faden mehr am Leib.

Sie fröstelte, stand auf und ging zur Terrassentür, vor der sie all ihre nasse Kleidung auszog und achtlos fallen liess. Der Regen steckte ihr nun tief in den Knochen mitsamt der Kühle, die er gebracht hatte.

Morgen soll es wieder heiss werden, dachte sie, und schlang zufrieden ihr Badetuch um sich.