Dienstag, 19. Februar 2008
Odonata

Ein Schlag mit der gestreckten Hand auf die schimmernde Wasseroberfläche weckte sie augenblicklich auf. Nun steigen sie, umhüllt von feinen, durchsichtigen Seifenblasen, die ständig ihre Form und Größe verändern und im Sonnenlicht des frühen Morgens regenbogenfarbend schimmern, wie ein Schwarm kleiner blitzender Fische in den weiten blauer Ozeane, langsam in den klaren Himmel auf. Klein, zart und zerbrechlich sitzen sie dort in ihren Seifenblasen, in jeder eine von ihnen, auf dem Rücken Flügel, fein und durchsichtig, von kleinen Äderchen durchzogen, die Augen frech und schlau, voller Lebensfreude und Mut, die Körper ein Widerspruch, zierlich und zerbrechlich, in feine Stoffe gehüllt, silbrig glänzend und reich verziert, in ihren kleinen, feinen Händen goldene Harfen und Violinen, spielen sie eine unüberhörbare, unvergessliche Melodie, eine Hintergrundmusik zum großen Zug in Richtung Freiheit, vielleicht. Der See unter ihnen, das Ufer umgeben von dichtem grünen Schilf, in dem die Kolben aus dem letzten Sommer sich im Winde wiegen und kleine Vögel ihre Heimat gefunden haben, dahinter ein paar verlassene Häuser, die Dächer mit Reet gedeckt, verschlossene Fenster, verschlossene Türen, nur eines oder zwei scheint gerade bewohnt, Menschen, die die Einsamkeit suchen und Ruhe, Abstand vom Leben dort, dem alles verhüllenden Rauch, der einem den Atem nimmt, erstickt und erdrückt, hier Frieden suchend, hier am See, der blau und ruhig in der Landschaft liegt, ein paar seichte Wellen darauf, von auftauchenden Fischen und dem längst vergangenen Schlag der gestreckten Hand, der See, klar, tief und rein, das Wasser noch kalt vom vergangenen Winter und in der Mitte eine Insel, unbewohnt, wie es scheint.

Die Seifenblasen steigen weiter auf, von einem leichten Windzug erfasst, der sie über den See treibt, der See, der unbeweglich und dunkelblau unter ihnen liegt, am Ufer lächelt jemand, schirmt seine Augen mit der Hand gegen die aufgehende Sonne, schaut sehnsüchtig den langsam vor sich hin treibenden Seifenblasen hinterher, mit ihrer zerbrechlichen und einzigartigen Fracht, die ihn mit ihrer Musik in ihren Bann gezogen hat. Der Wind treibt sie scheinbar zufällig in die Richtung der inmitten des Sees liegenden Insel, die nun selbst im goldgelben Sonnenlicht erstrahlt, etwas unbekanntes blitzt in ihrer Mitte auf, hinter hohen Bäumen versteckt und aus der Ferne kaum erkennbar, vielleicht versteckte Türme, alte Mauern, verborgene Gebäude, ein Palast, aus Glas, Kristall, Edelstein, Silber oder Gold, filigrane Handarbeit, Jahrhunderte alt und von unbekannten Baumeistern längst untergegangener Reiche erschaffen, für den Betrachter aus der Ferne kaum vorstellbar. Er sieht nur eine Insel im Licht der aufgehenden Sonne, Reflektionen blenden seinen Blick, hohe Kiefern erstrahlen in hellem Licht, feingliedrig erscheinen die Äste und Nadeln und die Seifenblasen setzten ihren Flug unbeirrt in Richtung Insel fort.

Hoch steht inzwischen die Sonne über dem See, der feine Morgennebel ist längst im Dickicht des umliegenden Waldes, in kleinen Senken und im Schilf am Ufer des Sees verschwunden. Die feine Musik verklingt langsam in weiter Ferne, die Seifenblasen über der Insel sind kaum noch zu erkennen, auch die kleinen, zarten Wesen in ihnen verschwinden, unaufhaltsam. Die Schar der Seifenblasen formiert sich, aus der scheinbar wahllos und ohne Ordnung dahin schwebenden Ansammlung wird ein kleines Heer, das sich friedlich glänzend im Licht der Mittagssonne langsam über der Mitte der Insel hinab senkt, zuerst verschwindet es hinter den Ästen der Bäume, die Musik ist nur noch leise zu erahnen, genauso der Anblick der strahlenden Gestalten in ihren durchsichtigen Regenbogenkammern, dann verhallt die Musik im seichten Frühlingswind, die Farben der Seifenblasen erblassen, verschwinden in wärmenden Sonnenstrahlen, ein kurzes Aufblitzen hinter den Bäumen und ein Lächeln auf dem Gesicht des Beobachters am Ufer des Sees, der sich von der nun fast unbeweglich erscheinenden Wasserfläche abwendet und leise seines Weges geht.