„Dieses Rauschen ist ja zum verrückt werden…“. Jonathan schaltete wütend das Autoradio aus. Seit diese Rowdies ihm die Antenne abgebrochen hatten war es nicht mehr weit her mit dem Spaß beim Autofahren. „Und das an einem Freitag“, dachte er. Er war auf dem Weg zur dritten Sitzung bei seiner neuen Therapeutin. Seit sie ihn verlassen hatte war sein Leben nicht mehr das selbe. Keine der bisherigen Seelenklempnerinnen war gut genug für ihn gewesen. Er hatte immer wieder gewechselt. Die Musik war wie Balsam auf dem Weg zur Praxis, aber nun war auch das vorbei. Er parkte den Wagen parallel zu den anderen auf dem eigens für Patienten vorgesehenen Parkplatz, nahm den großen Seesack vom Beifahrersitz und ging hinaus in den Regen.
Das Wetter machte ihm nichts aus. Er lachte über die Passanten die beim kleinsten Tropfen einen Schirm hervorholten. Ach, was kümmerten sie ihn. Es war ohnehin alles egal, seit sie ihn verlassen hatte.
Er ging in die Praxis und wurde ohne Wartezimmeraufenthalt von seiner Therapeutin in den Behandlungsraum geführt. Dort setzte sie sich: Frau Dr. Peschke. Sie war Anfang 30, hatte langes, lockig auf die Schulter fallendes dunkelbraunes Haar, eine rahmenlose Brille und eine eher burschikose Figur. Fast so wie die anderen Therapeutinnen dachte er jedes Mal und ein wenig sah sie auch wie sie aus, aber das war alles nicht mehr so wichtig, seit sie ihn verlassen hatte. Sie bat ihn sogleich, sich ebenfalls zu setzen.
„Wie geht es Ihnen heute?“, fragte sie.
Jonathan schwieg. Heute war die dritte Sitzung. Immer wieder rief er sich ihr Gesicht ins Gedächtnis und lächelte schwach.
„Möchten Sie heute nicht mit mir sprechen?“ Dr. Peschkes Augen sahen in fragend an.
Jonathan fixierte den Zimmerspringbrunnen. Immer noch schweigend. Das Plätschern hatte eine seltsam anregende Wirkung auf ihn, viel intensiver als in den anderen Praxen. Wortlos band er seinen Seesack auf.
„Wissen Sie Jonathan, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, wenn sie nicht mehr mit mir…“
Weiter kam sie nicht. Jonathan war aufgesprungen, hatte das große Armeemesser aus dem Seesack geholt und ihren Hals mit einem Stoß durchbohrt. Als er den ersten Schwall Blut auf seiner Haut spürte zog er es wieder an sich und stieß erneut zu, dieses Mal in ihren Brustkorb. Wieder und wieder stach er auf sie ein. Seine Augen waren von einem sanften Lächeln erfüllt und auch seine Mundwinkel zeigten wieder ein wenig Freude. Mit jedem Stoß der Klinge in ihren Körper erstarrte sein Gesicht weiter zu einer Maske eines fürsorglichen Lächelns. Doch er sagte kein Wort.
Als ihr Körper sich nicht mehr regte hielt er inne. Der Behandlungsraum war weitgehend unversehrt geblieben und abgesehen von ihren gurgelnden Lauten war auch alles relativ leise von Statten gegangen. Gut, dass Freitag war. Jonathan zog die Vorhänge zu und machte sich mit dem Armeemesser an die Arbeit. Gliedmaße für Gliedmaße, Stück für Stück zerlegte er die Therapeutin. Für jedes Teil war ein Frischhaltebeutel vorgesehen, den er säuberlich verschloss und in seinem Seesack deponierte. Nachdem er fertig war wusch er seine Hände und das Armeemesser ab und packte es ebenfalls wieder ein. Anschließend sah er sich um.
Die Praxis war sehr elegant eingerichtet. Wäre es eine Wohnung, würde es ihr hier sicherlich gefallen. Er ließ den Gedanken schnell wieder los. Es spielte ohnehin keine Rolle mehr. Im Schreibtisch fand er den Terminkalender, der ebenfalls noch Platz in seinem Seesack fand.
Er machte sich auf den Weg zurück zum Wagen. Der Seesack fand seinen Platz im Kofferraum. Glücklicherweise war der Heimweg weniger stressig. Es hatte mittlerweile aufgehört zu regnen und das Autoradio schien, wohl wegen des aufkommenden sonnigen Wetters und trotz der gebrochenen Antenne, nun besser zu funktionieren.
Zuhause angekommen schaffte er den Seesack ins Haus. Die Zimmer sahen aus, wie er sie hinterlassen hatte. Ein paar der an der Decke hängenden Duftbäumchen war hinuntergefallen, aber das war beinahe jedes Mal so. Jonathan schleppte den Sack in die Vorratskammer. Als er die Truhe öffnete und die Therapeutin nach und nach zu ihren Kolleginnen packte, stellte er fest, dass es Zeit wurde, die Truhe endlich zu leeren, da sie fast voll war.
Nach dem Aufräumen ging er in den Keller und öffnete die Tür zu ihrem Schrein. Er sah lange hinein. Ihr Kopf thronte noch immer zwischen den Kerzen und den Fotos. Ihr Gesicht war kaum noch zu erkennen. Jonathan lief eine Träne die Wange herunter. Er würde sich wieder eine neue Therapeutin suchen müssen…