Hallo zusammen,
jetzt, wo die ersten Geschichten für diesen Monat veröffentlich sind, möchte eine Bitte loszuwerden, die mir sehr am Herzen liegt:
Laßt uns mehr (konstruktive!) Kritik an den einzelnen Geschichten üben!
Als Leser sollten wir die Möglichkeit, die uns diese Plattform bietet, ernsthaft nutzen, unsere Gedanken zu den einzelnen Stories den Autoren auch mitzuteilen:
Wie hat eine Storie auf mich als Leser gewirkt?
Habe ich einen roten Faden gespürt?
Wie sind die Charaktere umgesetzt worden?
etc.
Dies hat nicht nur etwas mit Respekt zu tun, den wir den Autoren entgegenbringen sollten, sondern ist auch der einzige Weg, um wirklich genial umgesetzte Plots zu wüdigen oder aber auch, um auf mögliche Fehler wie Brüche im Schreibstil, Zeitformenwechsel etc. hinzuweisen.
Wir alle können von den Leser-Kommentaren etwas für unseren eigenen Umgang mit dem Schreiben lernen.
In diesem Sinne: laßt uns den Autoren helfen, ihre Werke zu verbessern. Lassen wir sie wissen, was uns gefallen hat, warum uns etwas gefallen hat und warum uns etwas eben nicht gefallen hat.
Denn darin besteht er ja schließlich, der eigentlichen Sinn dieser SchreibWERKSTATT.
Ich danke Euch.
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Im Morgengrauen, als die von Osten aufsteigende Helligkeit ganz langsam begann die bis dahin undurchdringliche Dunkelheit aufzubrechen, wurde ihm bewußt, wie lange er schon auf der alten Holzbank am See saß. Es war warm, viel zu warm für eine Nacht im Mai, sie paßte aber zu dem sehr milden, fast nicht da gewesenen Winter. War das der Grund, dass es in seinem Kopf so tobte? Kühlt der jährliche Winterfrost auch die Emotionen, die wirren Gedanken, die Sehnsüchte, die sich im Laufe eines Jahres anstauen? Dann müßten ja eigentlich auf den anderen Bänken auch einsame Gestalten sitzt, aber er sah keine. Er sah raus zum See, sah die langsam zunehmende Helligkeit, sah wie sich das Licht auf der ruhigen, nahezu glatten Wasseroberfläche spiegelte. Der neue Tag begann und die unsichtbare Kraft der Verpflichtungen zog ihn wieder an.
Es mußte schon fast 6 Uhr sein, schloß er aufgrund der Helligkeit. Er beugte sich nach vorne, legte seinen Kopf in seine Hände, verteilte die Last mit seinen Ellenbogen auf die Knie. Seine Fingerkuppen kratzten leicht über die Bartstoppeln vor seinen Ohren. In zwei Stunden der erste Termin im Büro, in 14 Stunden die Einladung von den Freunden seiner Frau, die nie seine Freunde werden würden. Wieder ein verlorener Tag in einer endlosen Kette verlorener Tage. War es das, wofür er lebte? Sich bereits am Morgen nach dem Zeitpunkt zu sehnen, an dem der Tag ein Ende hatte und der Schlaf ihn vom Nachdenken befreite?
Seine Gedanken kehrten wie so häufig in der letzten Nacht zum gestrigen Tag zurück. Zu dem letzten Gang, auf dem er seinen Freund begleitet hatte. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie er ihn kennen gelernt hatte und es erschien ihm irgendwie seltsam. Er hatte von jeder Frau, die ihn eine zeitlang durch sein Leben begleitet hat, das Bild vom ersten Moment in Erinnerung. Das erste Lächeln, der erste Kuss. Wie er einen Freund kennen gelernt hat, der ihm deutlich länger als all die Frauen zur Seite stand, weiß er nicht mehr. Nur Bruchstücke der Erinnerungen auf einem gemeinsamen Weg, der plötzlich ein Ende fand.
Für 38 Jahre hat es gereicht, magere 38 Jahre und einen Berg von unerfüllten Träumen. Keine vier Wochen war es her, als sie im Irish Pub gesessen und zum hundertsten Mal über die geplante Amerika-Tour gesprochen hatten. Von New York bis San Fransisco auf zwei Harleys. Nightrods sollten es sein, schwarze Nightrods. Keine Frauen, keine Termine, keine Verpflichtungen. ‘Wir machen das’, hatte sein Freund ihm mit einem befreiten Lachen zugerufen, ihm dabei auf die Schulter geklopft bevor er die nächsten beiden Biere von der Theke holte, ‘irgendwann nehmen wir uns die Auszeit und dann fliegen wir rüber’. “Irgendwann war zu spät Kumpel”, flüsterte er zu sich selbst.
Das Schlagen eines Kirchturms riß ihn aus seinen Gedanken. Sechs Schläge zählte er, sechs Uhr. Er lächelte darüber, dass seine Zeitschätzung richtig war, wanderte dann mit seinen Gedanken wieder zurück zum Tag zuvor. Wie sie dort alle an der Tafel gesessen, gespeist und vor allem getrunken hatten. Leichenschmaus nennt man es, man soll vergessen und wieder lachen - doch ihm war nicht nach lachen zu Mute. Die anderen tranken, lachten, erzählten ihre Geschichten. Was waren es doch für tolle Zeiten, was hat man nicht alles erlebt. Als ihm bewußt wurde, wie lange die alten Geschichten schon her waren, war er ganz ruhig geworden. Die Glorifizierung der Vergangenheit um nicht über die Gegenwart nachzudenken, nie zuvor war es ihm so aufgefallen.
Er war nicht gleich gegangen sondern hatte noch ein Weilchen still zugehört. Von den Gesprächen über die guten, alten Zeiten sprang man direkt zu den Träumen, zu den Dingen, die man noch machen wollte, irgendwann. Irgendwann war er wortlos aufgestanden, gegangen und nach Hause gefahren. Später dann, als er es zu Hause nicht mehr aushielt, fuhr er raus zum See, der westlich des Stadtrandes liegt, setzte sich auf eine Holzbank und versuchte mit der Ruhe des Sees den Sturm in seinem Inneren zu besänftigen.
Zeit zu gehen, dachte er, als sich die Sonne am Horizont langsam über die Baumgipfel schob. Er kehrte zu seinem Auto zurück und fuhr zur Ausfahrt des Parkplatzes, die direkt in die Hauptstraße mündet. Auf der anderen Straßenseite sah er ein altes Plakat mit Zigarettenwerbung. Einen kurzen Moment starrte er auf die skurrile Szene und die zur Marke passenden Worte, dann mußte er lachen. Er verharrte noch einen Moment, bevor er auf die Hauptstraße bog. Kurze Zeit später spürte er, wie die stärker werdenden Strahlen der aufgehenden Maisonne durch die Heckscheibe fielen.
Maerz 2007 ... link
Im Morgengrauen, als die von Osten langsam aufsteigende Helligkeit ganz langsam begann die bis dahin undurchdringliche Dunkelheit aufzubrechen, legte ich alle meine Kleider ab, zog die Vorhänge auf, löschte die zu unförmigen Resten niedergebrannten Kerzen.
Regungslos am Fenster stehend erwartete ich den noch nachtkalten Wind vor dem neuen Tag. Meine Schultern brannten von meinem strengen Willen gegen ihren eigenen sinkenden Mut. Ich genoss diesen Schmerz genauso sehr wie jenen, den das nächtliche Zermahlen jeglichen Lautes in meinen Kieferknochen hinterlassen hat. Kälter noch als das aufziehende Grau am Rande des schwarzen Horizontes war nur mein Blick, welcher den Wechsel zwischen Tag und Nacht schweigend beobachtete.
Als ich sie kommen hörte, ihr leises Flüstern schwebte ihnen voraus, rührte ich mich nicht von der Stelle und suchte auch nicht danach, meine Blöße vor ihnen zu verbergen, denn ich schämte mich nicht meiner Nacktheit. Als man mir ein Laken um die Schultern zu legen versuchte, fasste ich nicht danach. Hilflos rutschte es von meinen Schultern und fiel zu Boden, bildete einen weißen Halbkreis aus Stoff um die Stelle, auf der ich stand.
Ich drehte mich herum, fort vom Fenster und dem heller werdenden Grau. Sie senkten die Köpfe, sahen mich nicht an, einer von ihnen wand sich hastig ab. Ich nickte stumm, als man mir deutete, ihnen zu folgen.
Ich spürte die Blicke der Unbeteiligten auf mir, vernahm irritierte Fragen, Verwirrung und auch Abscheu über meine wie in eitlem Stolz getragene nackte Haut. Ich ließ nicht zu, dass mich ihr unwissendes Urteil berührte und ihre empörte Scham blieb bei ihnen allein.
Ein antiseptischer Geruch hing über dem Stahltisch, von dessen steriler Oberfläche das grelle Licht zurückgeworfen wurde. Meine Hand wollte eine Abwehrbewegung machen, als sie den glatten Tisch mit einem grünen Tuch bedeckten, so gerne hätte ich meinen Körper widergespiegelt gewusst von dem kalten Metall, doch Arm und Schulter standen unter dem Bann meines aufrechten Willens. In stummen Bedauern ließ ich mich in den Kreis der unzähligen Lichter führen, trat an den Tisch, streckte mich lang darauf aus.
Ich zählte nicht die Injektionen, mit denen sie die Haut meiner Handrücken und Armbeugen zerstachen. Ich zählte nicht und sah niemanden an. Nach einer langen, sehr langen Zeit ließ die klappernde und klirrende Geschäftigkeit um mich herum nach. Dann war es still. Ein Gesicht beugte sich über mich. Blaßblaue Augen fixierten mich aufmerksam. „Bist du bereit?“, fragte der zu den blaßblauen Augen gehörende Mund. „Ja“, antwortete ich ruhig und leise, „ich bin bereit. Löscht mir die Augen und danach löscht mir den Kopf und dann, dann löscht mir das Herz.“
Maerz 2007 ... link