Dienstag, 26. August 2008


Geduld

Das alte verblichene Holz war noch warm, und die Wärme verblieb auch noch einen kleinen Moment in seinen Fingern, als er die Hand wieder von der Türe des Schuppens löste um den Spaten heraus zu nehmen. Das Holz des Spatens war ebenfalls warm, von der Sonne des Tages. Sie schien milde durch das verstaubte Fenster in den hölzernen Verhau, und die Mücken umtanzten einander im goldenen Abendlicht, als wenn sie eine Heimkehr feiern würden — ganz aufgeregt vor Freude. Mit dem Spaten in der Hand schlurfte er zum zweiten Beet, direkt unter dem kuriosen Apfel-Birnen-Baum. Die Früchte waren immer noch klein und hart und wurden nicht richtig süß. Die hängen seit April schon unverändert an dem kleinen Baum. Das wird sich auch nicht bessern, bis sie im Oktober runterfallen und dort verfaulen. Die isst eh keiner, dachte er. Immerhin sind sie ein heimeliger Anblick. Immerhin das.

Dann stand er vor dem Beet. Zweieinhalb Meter lang, knapp einen Meter breit. So groß wie ein Schützengraben, dachte er. So groß wie ein Grab, sagte der Obermaat damals, kicherte vor sich hin und forderte eine Tiefe von mindestens einen Meter achtzig. Bis zum Mittag muss das Loch fertig sein, Kameraden. Also los. Und es hatte sich dann noch ganz schön hingezogen, diese Lochbuddelei, denn obwohl der Sand in der Wahner-Heide recht locker war, machten die weit reichenden Wurzeln der vielen Kiefern in unmittelbarer Nähe den etwa 30 Wehrpflichtigen die sinnlose Arbeit zusätzlich schwer. Das war auch schon 25 Jahre her. Viel Zeit ist vergangen seit dem.

Langsam verlor sich das Licht. Er hob den Kopf, blickte in den verblassenden Himmel. Die Sonne blendete nicht mehr so. Das war gut. Ein paar wenige Wolken hingen wie zerrupfte Wattebäuche am Himmel und glänzten rotgolden. Regen war nicht zu erwarten. Etwas Wind kam auf und bewegte ein paar der Blätter des Obstbaumes. Es war richtig, dass er jetzt erst gekommen war. Genau richtig. Wenn alles so lief wie er wollte, dann würde alles gut für ihn ausgehen. Er wechselte den Spaten von der einen Hand in die andere, dann schaute er hinter sich. Er spürte, wie es kälter in seinem Gesicht wurde, als er sich von der Sonne weg drehte. Dann wandte er sich wieder zurück. Alles lief prächtig.

Jetzt berührte die Sonne den Horizont. Immer wieder bewunderte er, wie sich die perfekte Kugel in dieser Situation zu verflachen schien. Er glaubte, Protuberanzen zu sehen, die sie sich hunderttausende Kilometer von der Oberfläche der Sonne in das All erheben, Flammenschwerter, die wild um sich schlugen und acht Lichtminuten später für Aufregung im Funkverkehr auf der Erde sorgten. Aber es waren wahrscheinlich nur ein paar Weizenfelder, die die gesammelte Wärme des Tages wieder abgaben und so das Bild der Sonne am Horizont vorsichtig flimmern ließen. So gehen Illusionen dahin.

Egal. Gleich musste es passieren. Gleich würde sich das Fenster öffnen. Er hatte den Spaten in der Hand. Er war vorbereitet. Es lief gut für ihn. Wenn ihr Gesicht erschien, war er bereit. Er hatte sich richtig positioniert, er hatte das richtige Werkzeug in der Hand. Seine Tarnung war perfekt. Vor ihm lag das völlig überwachsene Beet. Am rechten Rand stand der eigenartige Baum. In seiner Hand der Spaten. Das Holz am Griff ist warm von seinen Händen. Er spürte die harten Winterjahresringe am verwitterten Spatenstiel in seiner Hand. Dann das Geräusch auf das er gewartet hat. Es kam von der anderen Seite des Gartens aus dem Haus. Ein Fenster in der ersten Etage öffnete sich. Gleich hatte er gewonnen. Das Gesicht einer Frau erschien. Kommst Du rein zum Essen? Mach doch lieber morgen weiter im Garten, Schatz! Der Procastinator hatte sein Ziel erreicht.

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