Sonntag, 26. August 2007
Rettungen

„Ich saß zwischen zwei Stühlen, durfte nicht gehen und wollte nicht bleiben.“
„Wie meinen Sie das? Warum hätten Sie nicht einfach gehen können.“
„Weil er mir drohte, sich dann umzubringen. Weil er mir immer wieder sagte, dass er ohne mich nicht leben könne, dass er Amok laufen würde, wenn ich ihn verließe.“
„Hm, das ist heftig. Wollen Sie eine Zigarette?“
„Gerne. Ja, es war heftig. Ich wußte wirklich nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich habe es ihm geglaubt, konnte mir wirklich vorstellen, dass er Amok laufen würde. Er konnte so unglaublich aggressiv werden, so sehr, dass er sich wirklich völlig von aller Ratio entfernte.“
„Wie sah das aus?“
„Oh, es fing damit an, dass er mit Dingen um sich warf. Einmal hat er mir eine volle Kaffeekanne entgegengeworfen. Voll mit heißem Kaffee und Kaffeesatz, der mich im Gesicht getroffen hat, als die Kanne an der Wand zerschlug und der Inhalt durch die Gegend spritzte. Das war ihm aber noch nicht genug. Er ging auf mich los. Und drohte, mich in Grund und Boden zu schlagen. Ich hatte echt Angst und habe ihm an den Kopf geworfen, dass das ja eine echte Heldentat sei, eine Frau zu verprügeln. Da ist er weiß vor Wut geworden und hat mit der Faust solange in den Spiegel gehauen, bis der zerbrach. Seine Hand war gebrochen und das blutete stark. Ich hatte alle Mühe, den Arm abzubinden und ihn ins Krankenhaus zu schaffen.“
„Phfff. Das klingt wirklich beängstigend. Aber gab es denn gar keinen Weg, ihm klar zu machen, dass er Hilfe braucht?“
„ER? Er sollte Hilfe annehmen? Ich lach’ mich tot. Er war doch immer der Weltenretter. Er hat mich solange klein gemacht, bis ich ein Häufchen Elend war und er mich „retten“ konnte. Nein, der hätte niemals auch nur den Gedanken an sich herangelassen, dass er womöglich ein Problem hatte. Haben Sie noch eine Zigarette für mich.“
„Hier. - Das glaube ich nicht. Solche Selbstverletzungen zeigen doch einen inneren Konflikt. Da kann man doch mit arbeiten.“
„Meine Güte, Sie sind ja naiv. Innerer Konflikt. Da kann ich nur lachen. Er war ein harter Mann, der nichts an sich heranließ. Der alles unter Kontrolle hatte. Zumindest nach außen. Und wenn er sich nicht gut genug fühlte, hat er mich beleidigt oder verletzt, damit das Kräfteverhältnis wieder stimmte.“
„Wie hat er das denn hinbekommen. Sie sind doch eine starke Frau, machen einen autarken Eindruck, wie hätte er sie so treffen können?“
„Ach was, das sieht nur so aus. Er wußte genau, wie er mir weh tun konnte. Wenn ich eine Diät machte und dann ein paar Kilo abgenommen hatte, kam er daher und sagte mir: ‚Ich denk’ Du wolltest abnehmen, Du siehst ja aus wie’n Hamster.’ Oder wenn er aus der Sauna kam, erzählte er mir, wie schön die anderen Frauen waren und sagte dann so etwas wie: „Das war echt mal `ne Frau, die beim Ausziehen schöner wurde’. Dabei hat er mich so abschätzend angesehen, dass ich mich nur noch schämte.“
„Na ja, das ist zwar nicht nett. Aber so schlimm kann ich das nun auch wieder nicht finden. Aber das ist doch kein Grund….“
„Kein Grund? Meine Güte, Sie verstehen doch überhaupt nichts. Permanent hat er mir eingeredet, wie häßlich ich sei. Dass ich abnehmen muß. Dass ich nicht für diese Welt gemacht bin, und ohne ihn nichts auf die Kette kriege. Keinen Schritt durfte ich alleine tun. Wenn ich es einmal wagte, mich mit einer Freundin zu verabreden, musste ich ihm genau sagen, wo wir hingingen und jedes Mal hat er einen fadenscheinigen Grund gefunden, dort auch aufzutauchen. Weil er mich abholen wollte, oder noch an den Briefkasten musste oder noch spazierengehen wollte. Es war unerträglich, er bewachte jeden Schritt.“
„Aber Sie hätten doch mit ihm reden können. Ihm sagen können, dass kein Grund zur Eifersucht besteht. Oder hatte er etwa recht mit seinen Befürchtungen?“
„Wie sind Sie denn drauf? Klar, ich wollte die erstbeste Gelegenheit nutzen, um ihn zu betrügen…“
„Dann hatte er also recht.“
„Hallo??? Das war ironisch gemeint. Sie haben aber auch kein Ohr für Zwischentöne.“
„Das heißt, Sie wollten ihn nicht verlassen?“
„Doch, verlassen wollte ich ihn schon. Aber nicht, weil ich ihn nicht geliebt hätte, sondern weil ich die Umstände einfach nicht mehr ertrug. Die permanente Kontrolle. Das permanente Verletzten, sobald es mir mal besser ging. Alles war wunderbar, wenn es mir schlecht ging. Wenn ich aus dem Heulen nicht rauskam, Angst vor der Welt hatte, dann war er stark. Kümmerte sich aufopferungsvoll um mich. Spielte den Helden. War der große Retter. Aber wenn ich mal ein wenig besser drauf war, meine Stärke spürte und neues ausprobieren oder gar neue Wege gehen wollte, kam er nicht klar. Er kannte meine neuralgischen Punkte. Bestrafte mich sofort. Warf mir vor, dass ich fett sei, zuviel äße oder dass ich wie ein Wrack aussehe. Er wußte, dass ich früher magersüchtig war und sehr unter meinem neuen Gewicht litt. Er konnte wunderbar strafend gucken, wenn ich mir eine zweite Kartoffel nahm und machte dann so Bemerkungen wie: „Na, hast Du heut Bäume gefällt oder wieso kannst Du Dir heute so`ne Völlerei gönnen.“
„Hmmm. Aber das ist doch nur Gerede. Da stehen Sie doch drüber. Noch’ne Zigarette?“
„Danke. Sie begreifen es echt nicht. Ich habe darunter gelitten und zwar sehr. Er hat mir immer wieder von anderen Frauen erzählt, die besser, einfacher, schöner und was weiß ich waren. Dann hat er angefangen, mich in der Wohnung einzusperren, wenn er weg war. Damit ich keine Dummheiten mache.“
„Also haben Sie ihn doch betrogen?“
„Sagen Sie mal, Sie denken ja genauso eingleisig wie er. Ich fass es nicht. Nein, ich hatte versucht, mich umzubringen. Hatte versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Dann kam er nach hause und fand mich blutend im Bad. Da ist er ausgerastet. Erst gab er mir eine Ohrfeige, dann hat er mir die Gelenke verbunden und mich ins Bett gesteckt. Dannach hat er mich eingeschlossen, wenn er weg war. Vorher hat er alles entfernt, womit ich mich hätte verletzen können. Sogar die Küche hat er abgeschlossen, da durfte ich nur noch mit ihm rein.“
„Na, er hat sich halt Sorgen gemacht.“
„Wie bitte? Drückt man so Sorge aus? Das ist doch die totale Kontrolle. Es ging ja noch weiter. Ich durfte nur noch in seiner Gegenwart telefonieren. Es fehlte nur noch, dass er mithörte, was auf der anderen Seite gesagt wird. Ich habe dann den Kontakt zu fast allen abgebrochen und wenn jemand für mich anrief, hat er mich oft verleugnet, obwohl ich da war. Wenn er zur Arbeit ging, hat er das Telefon in der Küche eingeschlossen. Meine Post hat er auch geöffnet und mir nur dann gegeben, wenn er es richtig fand. Es war die Hölle. Ich hatte kein Leben mehr. Ich habe ihn angefleht, dass er mich rauslässt, dass er mich gehen lässt. Da kamen dann die Drohungen, dass er Amok laufen würde. Sogar meiner Familie hat er gesagt, dass er sich umbringt, wenn ich ihn verlasse. Zu der Zeit hat er auch angefangen, mich nachts ans Bett zu fesseln, damit ich nicht weglaufe oder irgendetwas unternehme während er schlief.“
„Mein Gott. Aber es muß doch Ihrer Familie aufgefallen sein, dass da was nicht stimmte. Haben die denn nichts getan?“
„Nein, nicht wirklich. Die fanden ihn zwar strange, aber gekümmert hat es sie nicht wirklich.“
„Das ist natürlich nicht gut. Wie sind sie denn überhaupt aus der Wohnung raus gekommen?“
„Nicht gut, das ist wohl die Untertreibung des Tages… Ich habe geübt, wie man Fesseln anschneidet und mürbe macht. Tagelang habe ich mit Streifen aus Betttüchern geübt, bis ich den Bogen raus hatte.“
„Aber hatten sie denn ein Messer? Ich denke, Sie kamen an nichts ran.“
„Ich hatte mir ein altes Küchenmesser geklaut. Als wir zusammen kochten, habe ich es eingesteckt und dann außen am Fenster der Toilette festgekebt. Als ich dann dachte, dass ich das mit den Fesseln im Griff habe, habe ich es auf meiner Bettseite versteckt. Und dann habe ich nachts die Fessel an meiner rechten Hand aufgeschnitten. Habe mich im Handumdrehen angezogen, den Autoschlüssel geschnappt und bin aus der Wohnung getürmt.“
„Steckte den der Schlüssel in der Haustür? Ich dachte, er hätte immer abgeschlossen.“
„Hatte er auch, aber ich wußte, wo er die Schlüssel aufbewahrt und habe mit dem Messer die Schublade aufgestemmt, den Schlüssel dafür hatte er ja um den Hals hängen, den hätte ich wohl nicht losbekommen, ohne ihn zu wecken. Aber die Schublade war ein Witz, die hätte man mit einem Lineal aufstemmen können.“
„Und dann sind Sie rausgelaufen. Wohin wollten Sie denn?“
„Keine Ahnung, nur weg. Mein Herz schlug so laut, dass ich dachte, er muss es hören. Ich war schweißnass und hatte eiskalte Hände, aber irgendwie habe ich es geschafft. Bin raus und ins Auto. Aber er hat die Tür gehört. Und hat wohl sofort begriffen, was passiert war. Als ich den Wagen gerade anließ, stand er auf der Straße. Fluchend und zitternd vor Zorn kam er auf mich zu. Brüllte mich an, drohte mir mit den Fäusten.“
„Und da haben Sie ihn einfach überfahren?“
„Ja. Es ging nicht anders. Ich saß zwischen den Stühlen. Meine Freiheit oder sein Leben. Ich musste ihn aus dem Weg schaffen….“